: Die Hamburger Einstiegsdroge: Hamburger
■ McDonald's Beitrag zur öffentlichen Eßkultur in der Hansestadt: statt verdeckter Tafeln in Kellern und Separees heute mäck-gestählte Lust auf aushäusigen Verzehr
Hamburger haben ein traditionell leicht gestörtes Verhältnis zum Essen. Zumal, wenn es öffentlich und genußvoll sein könnte – sozusagen klassenübergreifend. Vor wenigen Jahren attackierten Autonome im Brustton sozialpolitischer Selbstüberschätzung das Zeitgeist-Bistro Eisenstein in Ottensen, weil öffentliche Eßfreuden unstatthaft und stadtteilzerstörend seien. Die hanseatische Großbourgoisie scheute jahrhundertelang öffentliches Tafeln, versteckte sich in Kellern und Separees (Cöllns Austernstuben etwa) und ließ sich die Luxusspeisen am liebsten von Delikatessenhändlern direkt in die Speisezimmer an der Elbchaussee liefern.
Heute ist das etwas anders: Hamburg hat ein Landhaus Scherrer und ein Anna e Sebastiano sowie eine aktive neue Restaurantszene, welche auch Kreise, die vor kurzem nur Volxküche, WG-Büffet oder Kaffeeklappe akzeptierten, zu ihrem begeisterten KundInnenkreis zählt. Multikulti Tavernen-Erfahrungen im Gefolge des D-Mark-Reise-Imperialismus weichten den hanseatischen Freß-Calvinismus ebenso auf wie die Taschengeld-Abgreifer der us-amerikanischen Fast-Food-Ketten – allen voran der Best-Lagen-Mietpreistreiber McDonald.
Schon Mitte der 80er Jahre freuten sich norddeutsche Gaststättenlobbyisten bei aller Angst vor McDonald an dieser günstigen Einflußnahme auf die Verhaltenstrends: Wer sich schon in früher Jugend daran gewöhne, sein Geld öffentlich zu verspeisen, und sei es nur in Form von Schmelzkäse, Plastikbecher-Cola oder Styropor in Brötchen-Verkleidung, der werde später den Weg zu Candle-Light-Dinner und Edel-Menü finden. Die jüngste Hamburger Restaurantgeschichte bestätigt diese Hoffnung: Die Restaurantszene blühte parallel zum Vormarsch der Rindfleischhäcksler mächtig auf. Wie Marktanalysen zeigen durchaus auch dank mäck-gestählter Lust auf aushäusigen Verzehr.
Hier ist ein kleiner Tip für Theo Waigel angebracht: Selbst die Norddeutschen haben inzwischen soviel Geschmack an lustvollem Dinieren gefunden, daß eine Abschaffung der Absetzungsmöglichkeit von Bewirtschaftungskosten keinesfalls die Restaurantbranche köpfen, sondern lediglich ein bißchen mehr Marktwirtschaft herstellen würde. Und den übersteuerten Big-Mäck durch steuerliche Absetzbarkeit zu subventionieren ist eh eine wirtschaftspolitische Todsünde: Das macht die Deutschmark ketchup-weich und schadet dem gebeutelten Standort Deutschland.
Florian Marten
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