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Hunger a la McDonald

■ taz-Fast-Food-Test beweist katastrophales Preis-Leistungs-Verhältnis: Bei McDonald ist nur der Name schottisch.     Von Florian Marten

Tatort Eppendorfer Marktplatz, Freitag, 2. Juli 1993. Der euroweite Trend zur mittäglichen aushäusigen Nahrungsaufnahme steht hier in voller Blüte. Marktwirtschaft total ist angesagt. Eine gute Handvoll Italiener, ein Chinese, ein Edel-Franzose und Mister Big Mäck persönlich kämpfen um Appetit, Gastritis und Geldbeutel von Kids, Handwerksgesellen, Klinik-Angestellten (UKE)...

Mittendrin die Tester von der taz. Wir nehmen Maß an dem Urmeter neuzeitlicher Billigabspeisung, der Theke von McDonalds: 20 Chicken McNuggets (klein, fettig, flächsern), ein Salat mexicana, zwei Portionen Pommes, die als „groß“ firmieren, aber dem Streichholzschachtelformat kaum entwachsen sind, ein Milchshake, eine Kaffee und zwei mickrige Donuts wandern aufs Tablett: 27,50 Mark für die Mittags-Atzung zweier Männer, 38 und 11 Jahre alt. In reichlich neuneinhalb Minuten ist die Food very fast eingeworfen. Massive Plastiktische, kümmerliche Papierfetzen als Servietten und der Obercleaner, der im 5-Minuten-Takt die Fettspuren auf den geräumten Tische beseitigt, verbreiten heimelige Atmosphäre.

Schräg gegenüber säbeln in der Trattoria Siciliana derweil fröhliche Pärchen genußvoll an ihren Mammut-Pizzas (empfehlenswert: Pizza casa), brechen das frische Brot aus den Körben, das bei besonders Hungrigen sogar mittags nachgefüllt wird. 23,50 Mark lautet der Rechnungsbetrag für zwei Pizzen und Kaffee und Cola, die der Kellner den gut Gesättigten an den Gartentisch mit roter Plastikdecke bringt. Bei Mr. Wong, 80 Meter nördlich von McDonald, geht es schummriger zu. Saubere Stofftischdecken, reichlich Soja-Sauce und ordentlich Sambal begleiten eine knusprige Ente Szechuan (mit Bambusspitzen und chinesischen Pilzen), sowie die vegetarische buddhistische Fastenspeise, die sich mit Tee und Cola auf 30,30 Mark summiert.

Uns freilich zieht es immer wieder zur Casa Siciliana, in direkter Nachbarschaft vom großen Mäck: Verdura Siciliana und ein ausgezeichnetes Kalbsschnitzel in Senfsauce, vorweg Minestrone, ein großer Salatteller und sogar ein Dessert bringen inklusive Cola und Café auf dem Rechnungspapier nicht mehr zustande als schottische 28,80 Mark. Steht man hier auf, ist man satt und hat richtig Küche im Bauch. Die Casa bietet gute Mittelklasse, entfaltet in ihrer Senfsauce gar echte Könnerschaft. Nicht zu unterschätzen ist auch der (Eß-) Kultur-Genuß: Ein Mittagessen dauert hier mindestens eine halbe Stunde inklusive netter Gespräche – der Tag hat einen kleinen Mittelpunkt.

Einen Marktplatz weiter, am Winterhuder Markt, 400 Meter vom Mäckschen Urmeter entfernt, lockt das Ristorante Bologna mit Fast-schon-Edel-Küche und absoluten Dumpingpreisen seine multikulturelle Mittagskundschaft: Schmetterlingsnudeln mit Seeteufel und Salatteller (9,80 Mark) oder ein superiores Kalbsschnitzel mit Selleriecremesauce und frischen Gemüsen (14,50 Mark) beglücken den Gast hier in dezent großstädtisch-italienisch anmutendem Ambiente. Das Olivenöl zum Salat ist erste Klasse, das italienische Fladenbrot top und an besonderen Tagen lohnt es, sich eine Portion Antipasto misto (13,50 Mark) zu teilen. Satt und glücklich wird man hier mittags ebenfalls für unter 30 Mark.

Kurz: Für den Preis eines halbleeren McDonald-Magens kann man in Eppendorf und Winterhude richtig essen gehen. Big-Mäck-Freunde scheinen eigenartige Vorlieben zu pflegen: Minimale Leistung zu saftigen Preisen, Service nahe der Nullmarke und ein Flair für Masochisten. Dabei mußß MacDonald nicht einmal Schutzgelder zahlen, wie angeblich viele seiner italienischen Restaurant-Konkurrenten. Und die Food-Verteiler beim US-Multi werden nicht mickriger entlohnt als die Kellner der Familien-Betriebe.

McDonalds Rechnung geht auf: Bei den Getränken ist er gerade spürbar billiger als die anderen. Die müssen, besonders in Hamburg, ihre extrem knapp kalkulierten Essenspreise mit den Getränkeeinnahmen teilweise ausgleichen. Nicht so bei McDonald: Der verdient auch an den Speisen enorm. Die Miniportionen mit ihrem Minimaterialeinsatz wirken pro Einheit zwar billig (meist knapp unter der 5-Mark-Schwelle), sind aber im Preis-Food-Verhältnis auf dem gleichen Kalkulationsniveau wie die Edelmenüs im Landhaus Scherrer.

Anders gesagt: Wer bei McDonald speist, erhält für sein Geld einen Gegenwert wie jemand, der seinen Kindern eine Plastik-Figur von Käpt'n Hook oder den Turtels für stolze 24,95 Mark verehrt. Ein Preis, die dem minimalen Spiel- und Materialwert in gar keiner Weise entspricht, der wohl aber das Werbebudget und die enormen Gewinnspannen der Merchandiser erklärt.

Diese taz-These ist längst wissenschaftlich untermauert. Die Fähigkeit von McDonalds, höchste Mieten in besten Lagen zu bezahlen, Kids mit uferlosen Werbebudgets zu ködern, ewig zu expandieren und atemberaubende Gewinne einzustreichen, liegt nur zu einem Teil an Lohndumping, Nullservice und weltweiter rationeller Food-Fließband-Produktion. Entscheidend ist das gestörte Verhältnis von Essenswert und Preis. Ein umfangreiches Gutachten der französischen Gastronomie hat diese Fakten schon Ende der 80er Jahre detailliert dargelegt – ein vergeblicher Versuch, den Bistro-Killer von jenseits des großen Teiches zu stoppen.

Wie sagte doch so richtig Henning Voscherau: „Wir sind zwar die Hamburger-Partei. Aber: In dieser Freien- und Hansestadt kann jeder essen, wo er will.“ Weltstadtniveau und Hamburger haben eben ihren Preis.

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