: Wer saniert die Staatsfirma Hamburg?
■ Viele fühlen sich berufen - gestritten wird um Zuständigkeiten und Abläufe Von Florian Marten
Ein Jahr lang werkelte ein Prüftrupp des Hamburger Landesrechnungshofes in einem Hamburger Finanzamt. Die Feststellungen der Prüfcrew waren hochalarmierend: Küchenschaben, faulende Tapeten, schlechte Steuergesetze, unausgereifte Richtlinien, überlastete Mitarbeiter und grobe Schnitzer der Finanzbeamten, welche der Stadt jährlich Millionenausfälle bringen. Dieses Finanzamt ist, das wissen Eingeweihte, nur die Spitze eines gigantischen Saustalls.
Daß etwas grundlegend faul ist im Stadtstaate Hamburg, wird inzwischen sogar öffentlich zugegeben. Der Wettbewerb um die kollektive Beschimpfung des Staatsapparates ist in vollem Gang: ÖTV-Chef Rolf Fritsch philosophiert über die unguten Zwänge von Beamtenrecht und Kameralistik (öffentliches Haushaltswesen), SPD-Fraktionschef Günter Elste träumt von einer „schlanken Verwaltung“, Personalsenator Peter Zumkley veröffentlicht eine putzige Broschüre für ein effizienteres Verwaltungshandeln (heißer Tip: Kosten und Nutzen sollen etwas mehr miteinander zu tun bekommen) und eine ehemalige Mitarbeiterin der vieltausendköpfigen Wirtschaftsbehörde spottet über den Verwaltungs-Moloch am Steinweg: „Wenn wir den Laden ein halbes Jahr komplett dichtmachen, würde das in Hamburg niemandem auffallen.“
Die heutige Organisation der Staatsfirma Hamburg ist nicht mehr zeitgemäß. Sie produziert, oft ohne jede Schuld ihrer abhängig Beschäftigten, zu magere Ergebnisse mit einem oft ungeheuerlichem Aufwand. Das ist kein Zufall. Eine der Hauptursachen: Für politische und öffentliche Dienstleistung gibt es derzeit kein wirksames Kontrollinstrument für Leistung und Kosten.
Wer holt den Kammerjäger?
Beispiel: Küchenschaben-Finanzamt. Eine gut funktionierende Firma würde ihr Rechnungs- und Mahnwesen immer ganz besonders pflegen. Ganz anders die Hansestadt. Sie hat zwar eine Finanzbehörde und eine veritable Oberfinanzdirektion. Fürs effiziente Geldeintreiben sorgen beide nicht. Die Finanzämter wursteln vor sich hin. Spurt die Finanzbehörde nicht, müßte eigentlich der Senat eingreifen. Ob der einen Kammerjäger gegen die Küchenschaben ordert? Sorgt der Senat nicht für Qualität, müßte das Parlament es tun. Hermann Granzow, Chef des Hamburger Landesrechnungshofes, resigniert: „Das Parlament kommt seiner Kontrollfunktion gegenüber der Regierung immer weniger nach.“
Nicht nur SPD-Abgeordnete geben ganz offen zu, gegenüber Mißständen in Verwaltung und Senat, sollten sie sie ausnahmsweise überhaupt einmal mitbekommen, fast völlig hilflos zu sein: Senatsstäbe und Fachbeamte müllen die Kritiker mit ihrem Sachwissen-Vorsprung zu. Die Suppe bestimmt, wer den Löffel rührt. Wenn die Bürgerschaft nicht spurt, wäre der Wähler dran. Soll der etwa eine Liste „Betriebsreform und DDT für mein Finanzamt“ ankreuzen? Das ganze Gebäude demokratischer, parlamentarischer und politischer Kontrolle ist heute, so meinen nicht nur ExpertInnen, strukturell unfähig, den öffentlichen Dienst wirksam zu kontrollierenSelbst eine gut abgestimmte Reform von Parteien, Parlament und Senat, wie sie beispielsweise der rührige SPD-Vordenker Friedrich-Joachim Mehmel seit Jahren einklagt, würde hier nur ein bißchen weiter helfen. Die Reform muß in der öffentlichen Verwaltung selbst ansetzen.
Neues Ziel: große Fische
Rechnungshofchef Granzow hat dieser Tage mit einem Reformkonzept für Aufsehen gesorgt, das den Weg weisen könnte. Prompt wurde er heftig angefeindet - er mische sich in politische Angelegenheiten, hieß es, die ihn nichts angingen. Zunächst hat Granzow seine im Hamburger Verwaltungsmaßstab kleine Institution (152 MitarbeiterInnen) grundlegend modernisiert: Vorausschauend prüfen, die Verwaltung im Dialog überzeugen, die großen Fische jagen, Öffentlichkeit und Transparenz herstellen, erkannte Mängel auf strukturelle Ursachen abklopfen und für Abhilfe schaffen - bis hin zu Bundesratsinitiativen. Dieses Zielbild ist inzwischen nicht nur aufgeschrieben, der Rechnungshof arbeitet bereits so.
Beispiel Küchenschaben-Finanzamt: Granzows Prüf-Gang wählte sich die 150 fettesten Steuerakten und prüfte sie penibel nach. Ergebnis: 100 mal waren Großverdiener nicht richtig abgezockt werden. Die erkannten Mängel wurden sofort abgestellt, die Prüfergebnisse wanderten pronto zu Finanzbehörde und Oberfinanzdirektion, die nun die restlichen Finanzämtern ebenfalls aufmischen könnten. Damit nicht genug: Gemeinsam mit den Geprüften wurden systematische Mängel im Steuerrecht ausgemacht (Senat könnte hier Bundesratsinitiativen ergreifen), sowie die für eine effektive Arbeit unzulängliche Ausstattung beklagt. Granzow weiß: „Die Probleme der öffentlichen Verwaltung liegen weniger an ihren Mitarbeitern als an den Umständen, unter denen sie arbeiten.“ Für diese Umstände aber ist die Politik verantwortlich.
Granzow möchte seine Institu-tion stärker als bisher zu einer Vielzweckwaffe zur Verbesserung der Verwaltung ausbauen, ein Vorhaben, das weniger an der Verwaltung als am Unwillen der Politik scheitern könnte. Schließlich hat der Rechnungshof keine Umsetzungsvollmachten: Er darf nur prüfen und Vorschläge machen. Aber, selbst wenn die Politik den Rat- und Vorschlägen der Granzow-Gang häufiger folgen würde: Eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung braucht mehr als einen guten Rechnungshof.
Senat, Fachbehörden und Bezirksverwaltungen müßten ihre Apparate regelmäßig durchchecken lassen - ruhig auch mal von außen, z.B. durch Unternehmensberatungsfirmen. Wichtiger wäre aber, so meinen Fachleute, daß die schlichten Prinzipien von Planung und Kontrolle (sich etwas vornehmen und gucken, ob und wie man's geschafft hat) Einzug in Hamburgs Amtsstuben halten und das unsinnige Ritual halbautomatischer Verfahrensabläufe ersetzen, bei denen eine einmal angeschobene Sache ihren unverrückbaren Weg geht, ohne daß jemand mal zwischendurch jene ganz schlichte Frage stellt, auf die Granzow besonderen Wert liegt: „Was soll das?“ Der zweite heiße Tip von Granzow: „Gesunder Menschenverstand.“
Die taz sieht da noch ein klitzekleines Problem: Die öffentlichen Arbeitgeber glauben, die Existenz unseres „Rechtsstaates“ am besten dadurch zu sichern, daß sie in den höheren Verwaltungsdienst vor allem Juristen einstellen. Juristen lernen aber nicht, Probleme zu lösen, ihr Ausbildungsziel beschäftigt sich mit formalisierten und verschriftlichten Verfahrensabläufen, die zwar Gesetzen, selten aber der Wirklichkeit und ihren Herausforderungen entsprechen.
Wer Hamburgs öffentlichen Dienst modernisieren will, müßte das Kleeblatt moderner Unternehmensentwicklung wirklich ernst nehmen und tatkräftig anpacken: Personalentwicklung, Organisationsentwicklung, die Einführung von ergebnisorientierter Planung und Kontrolle. Unsere Prognose: Stattdessen wird Hamburg eine noch Jahre dauernde Diskussion um die Verwaltungsreform erleben, bei der um Zuständigkeiten und Verfahrensabläufe gestritten wird, sich in der Sache aber kaum etwas tut. Der wackere Granzow jedoch, da sind wir ganz sicher, wird zwischenzeitlich zumindest aus einem Finanzamt die Küchenschaben vetrieben haben.
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