Gute Chancen für Verfassungsklage

Haushaltsentwurf für 1994 verstößt gegen Verfassungsregeln / Präsident des Landesrechnungshofes, Horst Grysczyk, wirft dem Senat erhebliche Versäumnisse bei der Finanzplanung vor  ■ Von Dieter Rulff

Als der Haushaltsplan 94 vor zwei Wochen im Senat verabschiedet wurde, meinte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen noch, das Werk sei „sozial ausgewogen, volkswirtschaftlich richtig“ und sehe „gerechte Einsparungen“ vor. Erste Zweifel an dieser Version meldeten die Beschäftigten des Schiller Theaters an, auch die Berliner Beamtenschaft und die Mitarbeiter der diversen sozialen Projekte sind von der Gerechtigkeit der Sparmaßnahmen genausowenig überzeugt wie von ihrer sozialen Ausgewogenheit.

Eine Kritik ganz anderer, dafür aber um so weitreichenderer Art am Haushalt kommt nun vom Landesrechnungshof. Dessen Präsident Horst Grysczyk erklärte gegenüber der taz, das Zahlenwerk des Senats sei ein eindeutiger Verstoß gegen die Landeshaushaltsordnung. Er sieht in Zukunft gar „die Politikfähigkeit der Landesregierung eingeschränkt“. Wegen der erkennbaren Mängel der Bilanzen hat Grysczyk „überhaupt keinen Zweifel, daß die eine oder andere Oppositionsfraktion den Weg zum Verfassungsgerichtshof gehen wird“. Gute Chancen bei den obersten Gesetzeshütern der Stadt hätten die Oppositionsparteien als Klageberechtigte, weil mit dem Haushalt 94 das Maß an zulässiger Verschuldung des Landes weit überschritten wird.

Diepgen frohlockte noch, als der Haushalt beschlossen wurde, daß „mein Ziel, die Verschuldung deutlich unter 8 Milliarden Mark zu halten, mit 7,5 Milliarden erreicht“ sei. Bei Investitionen von 6,3 Milliarden Mark müsse dies jedoch „die Ausnahme bleiben“. Denn das Grundgesetz schreibt vor, daß „die Einnahmen aus Krediten (...) die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten“ dürfen. Eine entsprechende Regelung findet sich auch in der Landeshaushaltsordnung. Gegen dieses Prinzip, das der dauerhaften Sicherung des Gesamtvermögens des Landes dient, wird nach Grysczyks Ansicht mit dem Haushalt verstoßen, und zwar in einem weit größerem Maße als es Diepgen einräumen wollte.

Denn dieser hat mit den 7,5 Milliarden Mark lediglich die Nettokreditaufnahme, also die Schulden, die 1994 neu gemacht werden, berücksichtigt, und damit ebenfalls fällig werdende Zahlungen aus bestehenden Kreditverpflichtungen wie Umschuldungen vernachlässigt. Doch ist es diese Bruttokreditaufnahme, so Grysczyk, die bei den Vorschriften der Landeshaushaltsordnung und der Verfassung zugrunde gelegt werden muß. In den Kalkulationen von Finanzsenator Elmar Pieroth ist diese Summe für 1994 mit 9,89 Milliarden Mark ausgewiesen.

Diepgen rechtfertigt diese Differenz von immerhin 3,59 Milliarden Mark mit einem Ausnahmetatbestand, der auch im Grundgesetz und in der Landeshaushaltsordnung vorgesehen ist. Die Summe, so der Regierende Bürgermeister, sei „gerechtfertigt zur kurzfristigen Abwehr der Störung des Wirtschaftsgleichgewichts in Berlin“. Doch diese Argumentation will Grysczyk nicht durchgehen lassen. Was dem Haushalt zugrunde liege seien keine konjunkturellen Überlegungen, sondern „es sind die strukturellen Probleme der Wiedervereinigung“. Da aber gerade zur Bekämpfung dieser Probleme Investitionen dringend notwendig seien, hätte der Senat nach Grysczyks Ansicht seine Ausgaben entsprechend gestalten müssen. Dann wäre das jetzige Ungleichgewicht gar nicht erst entstanden.

Es ist eine der Rechtfertigungen der Großen Koalition, daß sie besser die Haushaltsprobleme bewältige. Dieses Selbstbild will Grysczyk nicht mehr gelten lassen. Die Regierungsparteien hätten „viel zu spät angefangen, mit der Finanzlage klarzukommen, und sie haben noch keine mittelfristige Lösung angeboten“. Im Gegenteil. War noch vor zwei Jahren für 1994 eine Nettoneuverschuldung von 4,9 Milliarden Mark angegeben worden, so stieg diese Summe real auf 7,5 Milliarden Mark. Grysczyk befürchtet, „daß es 1995 so weitergeht und allein die Höhe der Zinsen für die aufzunehmende Nettoneuverschuldung die Gestaltungsmasse für den Senat immer geringer werden läßt“. Dadurch werde nicht nur dessen Politikfähigkeit eingeschränkt, sondern auch der Handlungsspielraum künftiger Regierungskoalitionen. Der Rechnungshofpräsident wirft der Landesregierung vor, noch keine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt zu haben, in der für die kommenden Jahre sowohl Rahmendaten der Schuldenentwicklung als auch Lösungsvorschläge für diese Misere enthalten sind.

Mittlerweile erwägt die Fraktion des Bündnis 90/Grüne den Gang zum Verfassungsgerichtshof. Wie der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland erklärte, liege ein solcher Schritt bei diesem Maß an Verschuldung nahe. Bevor seine Fraktion jedoch rechtlich dagegen vorgehen kann, muß sie erst die Verabschiedung des Haushaltsplanes im Parlament abwarten. Dies wird Anfang Dezember der Fall sein.