: „Geldzahlungen spielten für mich keine Rolle“
■ Westberliner Journalist spionierte 17 Jahre lang für die Stasi / Auflistung seiner Aktivitäten zeigt, daß er nur ein kleines Licht war und gern wichtig sein wollte
Nie habe er geglaubt, daß es zu einer Wiedervereinigung kommen könnte, sagte gestern der 57jährige Westberliner Journalist und Schriftsetzer Hans-Joachim A. vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts. Aber weil er sich von Kindheit an immer mit dem „ganzen Deutschland verbunden gefühlt habe“, wollte er durch eine „kritische, faire Berichterstattung“, unter anderem in dem FDP-Organ Berliner Liberale Zeitung und im Spandauer Volksblatt, einen Verständigungsprozeß „Richtung Konföderation“ möglich machen.
Aber die Tätigkeit des Journalisten für das FDP-Organ und seine freie Mitarbeit bei anderen Zeitungen interessierte die Richter nicht besonders. Sie interessierte der Strafbestand: seine besonders gute und lange Verständigung mit dem Ministerium für Staatssicherheit.
Denn 17 Jahre lang, bis Dezember 1989, lieferte das Spandauer FDP-Mitglied unter dem Decknamen „Georg Hansen“ den wechselnden Führungsoffizieren der Hauptabteilung II Informationen über gewerkschaftlich engagierte StudentInnen, Journalisten-KollegInnen, FDP-BezirkspolitikerInnen sowie Interna aus der Freiwilligen Polizei-Reserve, der er 1986 beitrat. Mindestens 54.000 Mark, maximal 65.000 Mark plus einige tausend Ostmärker und grusinischer Cognac zum Geburtstag waren der Agentenlohn. Aber „Geldzahlungen spielten für mich keine Rolle“, erklärte der Angeklagte peinlich berührt über die Nachfragen des Vorsitzenden Richters Kubsch, „die Zuwendungen waren überschüssig und überflüssig und in meinem Etat nicht vorgesehen“.
Glaubt man dem eloquenten Redefluß des Angeklagten, waren die eingestrichenen Gelder auch eine glatte Fehlinvestition des MfS. Denn er habe nur „praktisch wertlose Informationen“ geliefert, Material, das jedem Bürger zugänglich war, zum Beispiel den Landespressedienst und den Spiegel. Auch die persönlichen Kontakte, die er dem MfS als „interessant“ gemeldet habe, seien belanglos gewesen. Nie habe er versucht, Menschen „abzuklären“, wie das Aushorchen im Spionagejargon heißt, und nie habe er jemandem persönlich geschadet. Wichtig sei einzig sein deutschlandpolitisches Engagement im Sinne von Willy Brandt und sein Bemühen, dem Westberliner Leser die Verhältnisse in der DDR möglichst authentisch nahezubringen. Insofern hätten die Führungsoffiziere und er sich gegenseitig ausgenutzt.
Allerdings schienen seine Recherchemöglichkeiten begrenzt. Obwohl der Angeklagte deutlich versuchte, sich als kompetenter Deutschlandkenner mit besten Kontakten zu Politik und Kollegen zu profilieren, zeigte die Auflistung seiner Aktivitäten, daß er nur ein kleines Licht war. Er war jemand, der gerne wichtig sein wollte, es aber faktisch nirgends war. Weder spielte er eine Rolle in der FDP noch in der gewerkschaftlichen Arbeit bei der Deutschen Journalisten-Union, noch war er jemals festangestellter Redakteur einer Tages- oder Wochenzeitung. Die FDP-Zeitung erschien nur viermal im Jahr.
Seine begrenzten Informationsmöglichkeiten erkannte auch die Staatsanwaltschaft. Weil er „praktisch das MfS an der Nase herumgeführt habe“, also tatsächlich nur wertlose Informationen lieferte, beantragte die Staatsanwaltschaft ein Jahr Haft auf Bewährung plus 12.000 Mark Geldstrafe. Die Verteidigung plädierte für eine Geldstrafe „nach Ermessen des Gerichts“. Das Urteil soll heute verkündet werden. aku
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