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Von der Kontinuität der Justiz

Sonderausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand widmet sich dem Reichskriegsgericht / Von 1936 bis 1943 war der Sitz in Berlin  ■ Von Severin Weiland

Keinem einzigen Juristen, der im Nationalsozialismus das pervertierte Recht mitgetragen und in Sondergerichten oder am Volksgerichtshof gewütet hatte, wurde je der Prozeß gemacht. Auch die Repräsentanten des Reichskriegsgerichts, das von 1936 bis 1943 im heutigen Berliner Kammergericht in der Witzlebenstraße 4–10 tagte, blieben unbehelligt. Wie weit die personelle Kontinuität der Wehrjustiz bis in die Frühzeit der Bundesrepublik reichte, dokumentiert derzeit eine Sonderausstellung zur Rolle des Reichkriegsgerichts in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Einige der Militärjuristen, wie etwa Ernst Kanter, stiegen sogar in höchste Ämter auf. 1958 wurde der vormalige Senatsrichter am Reichskriegsgericht Vorsitzender für politische Strafsachen am Bundesgerichtshof.

Totgeschwiegen wird diese Kontinuität heute nicht mehr – das Kammergericht war im vergangenen Jahr erste Station dieser Sonderausstellung. Aber die bundesdeutsche Justiz scheint den Stallgeruch nicht ohne weiteres loszuwerden. Anders ist kaum zu erklären, daß sich die Präsidentin des Kammergerichts, Gisela Knobloch, im Katalog zu dem Satz inspirieren ließ, man lege „großen Wert auf die Feststellung, daß wir mehr als das Gebäude mit dem Reichskriegsgericht nicht gemein haben“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg von ehemaligen Militärjuristen zum Teil grob verfälscht, konnte die Geschichte des höchsten Wehrmachtsgerichts, das nach bisheriger Aktenlage zwischen 1939 und 1945 für über 1.400 Todesurteile verantwortlich war (von denen rund 1.200 vollstreckt wurden), erst in den letzten Jahren genauer beleuchtet werden. Entscheidenden Anteil daran hat nicht zuletzt der 1960 geborene Historiker Norbert Haase, der vor drei Jahren in Prag auf bislang unentdeckte Dokumente aus dem Reichskriegsgericht stieß. Sie belegen, wie weit die nationalsozialistische Weltanschaung die juristische Diktion bestimmte. Die Militärgerichtsbarkeit, in der Weimarer Verfassung verboten, war von den Nazis sogleich nach ihrem Machtantritt 1933 wieder eingeführt worden und widmete sich während des Krieges nicht nur der Säuberung der eigenen Reihen, sondern auch dem Kampf nach außen. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt die Ausstellung die Spannbreite der durchgeführten Prozesse: Darunter waren Verfahren gegen Oppositionelle innerhalb des Militärs oder gegen Offiziere, die sich den Durchhalteparolen Hitlers widersetzten; Todesurteile gegen Katholiken, Protestanten und Zeugen Jehovas, die aus religiösen Motiven den Kriegsdienst verweigerten und ebenso gegen Widerstandskämpfer aus Deutschland, Polen, Nord- und Nordwesteuropa. Am bekanntesten ist der Prozeß gegen die Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ 1942/43, deren Mitglieder größtenteils hingerichtet wurden.

Neben der prägnanten Darstellung – die durch den Katalog hervorragend ergänzt wird – verweist die Ausstellung mit kleinen, fast nebensächlichen Details auf die Schwierigkeiten, die lange Zeit einer Aufarbeitung entgegenstanden. Während der langjährige Präsident des Reichskriegsgerichts, Admiral Max Bastian, 1958 mit allen militärischen Ehren der Bundesmarine in Wilhelmshaven beigesetzt wurde, gerieten die Opfer in Vergessenheit. So auch Hermann Stöhr, der als Kriegsdienstverweigerer 1940 hingerichtet und dessen Grab im Bezirk Wedding in den siebziger Jahren durch die Planung für eine Autobahn beseitigt wurde. Und noch 1989 ließ ein Berliner Richter eine am Gebäude des Kammergerichts befestigte Plakette eigenmächtig entfernen und handelte sich dafür ein Disziplinarverfahren ein. Die Tafel für die durch das Reichskriegsgericht verurteilten Kriegsdienstverweigerer und Widerstandskämpfer wurde in der Zwischenzeit erneuert – allerdings steht sie nun vor dem Gerichtsgebäude.

Mo bis Fr von 9 bis 18 Uhr, Sa und So 10 bis 13 Uhr, Gedenkstätte in der Stauffenbergstr. 13–14

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