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Village VoiceZappeln im Stillstand

■ Tanzplatten im Berliner Sommerloch: universelle Bahnen und zerzauselte Melodien. Die Amber-EP und The Vision: Waveform Transmission Vol.2

Es ist wie mit Mountainbikes und Computermodellen: Die Lebensphilosophie des Primär- Clubbers wandelt sich mit dem je avanciertesten Remix. Schlagartig werden x-beliebige Stüssy-Typen erbarmungslos bis in alle Ewigkeit gedisst, weil sie Harthouse mit Trancedance verwechseln und sich überhaupt zu Dancefloor-Jazz bekennen. Dazwischen liegen nicht nur Welten, sondern ganze nations, die mit jedem neuen James-Brown-Sample und jeder abweichenden Sinus-Kurve aus dem Tanzboden sprießen.

Daß sich Gegensätze unter der Discokugel nicht anziehen müssen, selbst wenn sie nach gleichem streben, mag man so überaus komplementären Veröffentlichungen wie der Amber-EP im Geiste des Jazz und den mit Berlin kollaborierenden Detroiter Techno-Werkern The Vision anmerken. Wie beim Zeitsprung grüßen die vier Dance-Bands auf Amber Records den Clubsoul der späten siebziger Jahre und schneiden sich in der Soul-Kitchen ein paar dicke Samples vom Kuchen, während The Vision am Elektro-Sound nach Techno basteln. Trotzdem zeigen beide Fraktionen das selbe Vertrauen in die Geschichte mit einem leichten Zappeln im Stillstand.

Der Dance-Jazz der Quiet Archievers beispielsweise trägt sein Menetekel schon im Namen. Von einer computerisierten Bassline gestützt, unterhalten sich auf „Choices“ zwei Herren über die Kindheit. Wie bei Cat Stevens' „Father & Son“ wird der Generationskonflikt mit dem allgemeinen Erfahrungsverlust abgeglichen. Früher rauschte das Meer, Kieselsteine zischten im Wurf über den Karpfenteich und die Kids wuchsen mit allerlei Blumen, während sie heute in der industriellen, seelenlosen Öde mit Gasmaske zur Schule gehen müssen. Die Entscheidung fällt dem anschließenden Chor leicht: „We got choices to live“ hat ein ähnlich völkerverbindendes Kolorit wie die Aquarius-Hymne zu „Hair“. Doch für ein Hippie-Revival geht der Song dann ziemlich glatt und viel zu tanzbar über die Bühne, der Vibraphonist klirrt präzise und das Piano im Offbeat setzt auf jene eloquente Kühle, mit der Lil' Louis sein Liebesspiel bei „French Kiss“ vorantrieb.

Auch die Supreme Chord Jesters schreiben Eklektizismus am Ende mit einem fetten ß. Als würden sie aus ihrer Plattensammlung plaudern, erheben die Jesters im Intro zu „Music“ von einem funky geschräbbelten Klavinett getragen den sonoren Rap Gil Scott-Herons zum Wegweiser in die Zukunft. Doch da führen noch mehr Reisen in die Vergangenheit: etwa die melodisch seriös blue-notende Trompete als ständige Begleitluft, oder das Neo- Gibson-Halbakustik-Gitarren- Solo inklusive all der Krebsgriffe, wie sie seit Georg Benson schon wieder vergessen waren. Und der Beat swingt, und der Bass fließt, und Moog- oder ARP-Synthesizer ziehen ihre universellen Bahnen. Fast wie früher.

Bei The Vision dauert es ein wenig länger, ehe man die Erbfolge herausgehört hat. Von den „godfathers of techno“ Derrick May und Kevin Saunderson inspiriert und von den Hartcore-Ligisten Underground Resistance geschult, kreiselt The Vision zwischen Acid-Atmosphäre und dem vormals neuen Beat hin und her, ohne mehr als einige Skizzen knapp zu umreißen: Neue Einfachheit nach dem Techno-Barock aus Rotterdam, oder Rückkehr der Trillerpfeife in die Tanzmusik?

Interessanterweise scheinen The Vision dabei nichts anderes im Sinn zu haben als Ideen für weniger beschlagene DJs zu liefern. Als sollten die Melodien für den kommenden Herbst abgesteckt werden, fiept auf „Magnetic Sttorm“ eine undurchschaubar zerzauselte Melodie im oberen Frequenzbereich und orientiert sich „Chrome“ an einer Arpeggio-Schleife, die asynchron zum Rhythmus verläuft. Man wird also auf die nächsten Remixe warten müssen. Waveform Transmission Vol.2 ist in seiner fragmentarisierten Geschlossenheit eher ein vorgezogenes Futur II des „Es-wird-gewesen-sein“ , und als solches der ideale Spielraum für Fatalisten und kommende Apfelmännchen. Harald Fricke

The Vision: Waveform Transmission vol. 2 (Tresor, Efa)

Amber-Ep mit Miriam Bondy, Quiet Archievers, Step Three und den Supreme Chord Jesters (Amber records).

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