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Erkundigung auf fremdem Terrain

■ Schweigen aus Gewohnheit / Deutsche müssen draußen bleiben

Hat die Frau schlechte Erfahrungen gemacht? Umschauen darf man sich in ihrem kleinen russischen Laden an der Außenmauer der Garnison Wünsdorf, wo gegen D-Mark alle Abnormitäten westlicher Konsumgüterproduktion zu haben sind: Michael-Jackson-Poster und Klappmesser, japanische Kassettenrekorder und Porno-Videos („Monster-Fick“), Autoantennen und Tränengassprays. Aber die Bitte um ein paar Auskünfte bringt die stämmige Verkäuferin so in Rage, daß sie die Reporter noch bis auf die Straße verfolgt: „Dawai, dawai – weg, weg!“ Schimpfend verbietet sie jedes Notieren und scheucht die Frager vor sich her: „Doswi Danje!“ (Auf Wiedersehen!). Noch die Straße vor ihrem Laden, darauf beharrt sie, sei „russische Erde“.

Fragende Journalisten sind lästig, schreibende Journalisten eine Provokation. An der fast 2.000 Kilometer von Moskau entfernt gelegenen Garnison Wünsdorf, der größten russischen Stadt außerhalb Rußlands, muß Gorbatschows schon lange zurückliegende Glasnost-Kampagne wirkungslos vorübergegangen sein. Um eine Besuchserlaubnis für das Gelände hinter der grauen Mauer bemühen sich deutsche Journalisten meist vergeblich. Seit deutsche Zeitungen über Ermittlungen Moskauer Staatsanwälte gegen Oberkommandeur Burlakow berichteten, dem Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden, bleibt der Schlagbaum für deutsche Berichterstatter unten.

Zwischen Bahnübergang und Haupttor liegen außerhalb der Garnisonsmauern ein Geschäft, ein Plattenbau und der Militärbahnhof. Im Wartesaal dieser westlichsten Station des russischen Eisenbahnnetzes dösen Soldaten auf langen Plastikbänken vor sich hin. Wie sind ihre Erfahrungen in Deutschland? Antworten will keiner. Einer fragt zurück: „Wozu?“ Die Personenwagen auf dem Abstellplatz vor dem Bahnhof tragen zum großen Teil keine Nummernschilder. Wer sie verkauft, wo die Wagen herstammen, was der Besitz eines Wagens in Rußland bedeutet? Die beiden Männer in dem klapprigen Renault, vom Typ offensichtlich Kaukasier, ziehen an ihren Zigaretten und schauen an den Fragern vorbei in die Ferne.

Für Nazim, den Juden aus Aserbaidschan, ist die ausgeprägte Schweigsamkeit der Geschäftemacher, Soldaten und Soldatenfrauen erklärlich: Ein „communist symptom“ sieht er darin, eine Folge kommunistischer Gewöhnung. Der Englischlehrer arbeitet als Verkäufer in einem von etwa einem Dutzend improvisierten Läden, die im Keller des Plattenbaus eingerichtet sind. Die Wände des Gangs sind mit einzelnen Seiten aus einem Otto-Katalog beklebt. Die Synthetik-Pullover, die Kunstlederjacken und Haarsprays, die er und andere hier unten verkaufen, stammen vor allem aus China, Taiwan und der Türkei. „Sie versuchen, alles mitzunehmen“, sagt Nazim über seine Kunden, die alle innerhalb eines Jahres nach Rußland zurückkehren müssen. Bezahlt wird ausschließlich in Devisen, ein Taschenrechner zum Umrechnen in Dollar liegt immer bereit. Mit 1.500 Mark Monatsgehalt – ausbezahlt in harter Westwährung – wären die russischen Offiziere in ihrer Heimat reiche Leute.

Der Otto-Katalog gilt auch im Kiosk gegenüber dem deutschen Bahnhof als begehrte Ware. Die Kunden aus der Garnison kaufen gern deutsche Zeitungen und Fernsehgazetten. Auf dem Vorplatz unter dem verwitterten Schild mit der Aufschrift „Handel verboten ab 1. 1. 1991“ werden größere Geschäfte abgewickelt. Männer lehnen an Autos mit Zoll- und Überführungsnummernschildern.

Auf der meterhohen Landkarte Rußlands, die im Wartesaal des Militärbahnhofs hängt, ist Berlin im linken oberen Eck gerade noch auszumachen. Nach Moskau sind es von Wünsdorf 1.929 Kilometer. Das entspricht etwa einem halben Meter auf der Karte. Im Vergleich zur Größe des Plans scheint das eine geringe Entfernung. Hans Monath

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