piwik no script img

Rumoren unter der Zipfelmütze

■ Nie mehr erster Klasse: Die ZDF-Zukunftsstrategie des Chef-Mainzelmanns Dieter Stolte

Mainz (taz) — „Die Intendanten dieses Hauses sind seit 1962, außer auf transatlantischen Flügen, nie erster Klasse geflogen.“ ZDF-Chef Dieter Stolte sagt das mit ungewöhnlicher Vehemenz, als könnte er damit alle Wasserkopfattitüden und Verwaltungskoloßvorwürfe gegenüber dem öffentlich-rechtlichen System vom Tisch wischen. Seine Mainzelmänner sollen den Gürtel enger schnallen. Mehr Bahn statt Flugzeug, Nahverkehrsfahrten zweiter Klasse, weniger Diensttelefonate und weniger kostenlose Zeitungen in den Redaktionen.

In allen Bereichen ist die ZDF- eigene „Stabsstelle für Effektivitätssteigerung“ durch den 2-Milliarden-Haushalt gefahren und hat einige Millionen zusammengestrichen. Kein Bundesligafußball mehr am Freitag abend, weniger Aus- und Fortbildung, weniger Geld für Hospitanten, eine zehnprozentige Kürzung der Betriebsausgaben. 75 Millionen sparen die Mainzer durch den ARD-Einstieg beim Kulturprogramm 3sat, nochmal soviel durch „preiswertere Sendeplätze“ im neuen ZDF- Programmschema ab Oktober und 173 Millionen durch weniger Steigerungen beim Programmaufwand. Und schließlich sollen noch mindestens 70 Stellen in den kommenden drei Jahren nicht wieder besetzt werden. Macht summa summarum ein Sparvolumen von einer halben Milliarde Mark bis Ende 1996.

Wie wenig eine halbe Milliarde sein kann

Hört sich das nicht unheimlich gut an? Ist das nicht das sehnlich erwartete Zeichen öffentlich-rechtlicher Bescheidung? Ein Zeichen vielleicht, die Lösung aber noch nicht. Denn diese Sparakte sind allenfalls der erste Schritt aus der ZDF-Finanzmisere.

Die halbe Milliarde jedenfalls reicht hinten und vorne nicht. 200 bis 250 Millionen Mark Defizit werden die Mainzer 1993 im Werbebereich einfahren. Und es gibt keine Anzeichen, warum sich die Situation bis 1996 bessern sollte. Ein Zeitraum für den auch die derzeit gültigen Gebühren festgelegt sind. Trotz Rotstift: Nach derzeitigen Berechnungen kommt ein Defizit von 600 Millionen Mark bis Ende 1996 zusammen.

„Wir haben geglaubt, wir hätten das Ding im Griff“, schildert ZDF- Intendant Stolte seine anfängliche Freude über das Sparpaket, „aber jetzt sind wir wieder da, wo wir angefangen haben.“

Nun greift Stufe zwei seines Überlebensplans. Das, was der Mainzer „strukturelle Maßnahmen“ nennt. Die Unternehmensberater von McKinsey sollen nach eineinhalbstündiger Analyse bald konkrete Vorschläge zur Auslagerung von Technikdienstleistungen machen.

Ab Ende des Jahres will sich das ZDF dann verstärkt bei freien Anbietern auf dem Markt bedienen. Anschließend soll sich die Consulting-Firma gleich auf die Verwaltung der Anstalt stürzen. Mit hausinternen Umsetzungen, Vorruhestandsregelungen und ähnlichen Maßnahmen soll der ZDF-Personalstamm bis 1998 von derzeit 4.230 auf unter 4.000 sinken.

Kein beeindruckender Personalabbau für ein durchschnittlich rezessionsgeplagtes Unternehmen, aber Anlaß zu öffentlich- rechtlicher Emotion. Das werde „nicht das Ende der Fahnenstange“ sein, klagt Stolte mit leiser Stimme, schaltet einen Gefühlsgang höher und stimmt das pathetische Klagelied vom langsamen Untergang seiner Anstalt an.

Wenn niemand hilft, geht es an den Korpus

Ohne Unterstützung, unkt der Intendant, werde man um einen „Substanzabbau am Korpus des ZDF“ nicht herumkommen. Und dann werde es nicht um vorübergehenden Verzicht sondern um „unwiederbringbare Verluste“ gehen. Das müßten Gesellschaft und Politik wissen. „Ich baue keinen Popanz auf“, doziert der Professor, „das ist eine ernste Situation“.

Von der Politik erwartet Stolte für 1997 vor allem den Verzicht auf die 20-Uhr-Werbegrenze. „Die Einsperrung der Werbung bei ARD und ZDF in ein Ghetto ist hirnrissig“, schimpft der Anstaltschef.

Stolte wäre weiterhin mit den gesetzlich festgeschriebenen 20 Werbeminuten zufrieden, würde aber gerne die Hälfte davon in den reklameattraktiveren Hauptabend verlagern. Höhere Preise und eine bessere Ausbuchung wären die Folge.

Vom völligen Verzicht auf Werbung, der immer wieder vorgeschlagenen reinen Gebührenfinanzierung hält Stolte dagegen überhaupt nichts. „Ich bin ein Anhänger von begrenzter Werbung im öffentlich-rechtlichen System“, bekennt der ZDF-Intendant und stellt sich sein Programm ohne die bunten Reklamebilder gar „furchtbar“ vor.

„Modernes, lebendiges Fernsehen“ funktioniere eben nur mit Werbung, weil sich die Anstalten sonst „von den Bedürfnissen und Interessen der Zuschauer immer mehr entfernen.“

Doch Stolte weiß, daß solche Äußerungen nur Wünsche sind, entscheiden wird und muß die Politik. Um im Gebührenpoker 1996 gute Karten zu haben, will der ZDF-Intendant seinen Sender bis dahin für den Wettbewerb „konditionieren“ (ein Lieblingswort des Anstaltschefs). Guten Willen demonstrieren, Kosten reduzieren und sich im Programm öffentlich- rechtlich profilieren soll die mittelfristige Strategie sind, um die Politiker zur Unterstützung des öffentlich verwalteten Rundfunks insgesamt und besonders des ZDF zu bewegen.

Keine Experimente!

„Erstmal sind wir gefordert“, so Stoltes Appell, „wir müssen 1996 das unverzichtbare und unverwechselbare Programm für die Gesellschaft sein.“ Keine Experimente, heißt das für das ZDF- Programm. Neue Showkonzepte will der Chef-Mainzelmann nach dem jüngsten Flop „Traumjob“ zunächst seinlassen. „Die schlechte Show wird zu Recht aussterben und wird durch neue, gute, erzählende Formen ersetzt“.

Stolte setzt auf Bewährtes, das sich auch noch gut wiederholen und verkaufen läßt, auf „Trivialunterhaltung, die nicht in 90 Minuten durch den Schornstein gejagt wird“.

Die Verfilmungen von Bestsellerautorin Pilcher gehören dazu ebenso wie ein neuer Kommissar für den ZDF-Freitagskrimiabend. In „Faust“ soll Eurocop Heiner Lauterbach ab 1994 für das ZDF erneut die Pistole ziehen. Christoph Heinzle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen