: Volker Rühe stiehlt Soldaten die Show
Die deutschen Soldaten erwartet in Benet Huen ein wohlvorbereitetes Lager / Die Kollegen vor Ort plagt der Sand zwischen den Zähnen ■ Aus Benet Huen Bettina Gaus
Ein hoher Gast aus Bonn stiehlt den deutschen Soldaten, die am Sonntag mit einem Fahrzeugkonvoi aus Mogadischu in Belet Huen erwartet werden, die Show: Verteidigungsminister Volker Rühe trifft in Begleitung von Heeresinspekteur Helge Hansen am selben Tag ebenfalls in der Kleinstadt unweit der äthopischen Grenze ein. Die Hardthöhe mag die überrraschende Visite noch nicht offiziell bestätigen, im Camp der Bundeswehr aber laufen die Vorbereitungen bereits auf Hochtouren.
Feldbetten und Telefone für die rund 70 Zeitungsreporter, Fotografen und Fernsehteams müssen organisiert werden. Eine Begegnung des Ministers mit Vertretern der verschiedenen ortsansässigen Clans und Gespräche mit den Kommandeuren der italienischen und nigerianischen Truppen, die in Belet Huen mit dem Schutz der Bundeswehr-Soldaten betraut wurden, sind geplant.
Vorgesehen ist auch ein Besuch Rühes im Krankenhaus der Stadt, in dem Bundeswehr-Ärzte täglich ambulante Sprechstunden für die Bevölkerung abhalten, und in vier neu eröffneten Schulen, für die Unterrichtsmaterial aus Deutschland geliefert wurde. Termine mit UN-Vertretern stehen hingegen bislang nicht auf dem Programm.
Gefahr droht dem Minister während der Visite nicht: Die Milizen in Belet Huen wurden bereits vor Monaten von kanadischen UNO-Truppen entwaffnet. Die deutschen Militärs sind bisher nicht auf Feindseligkeit gestoßen. Die meisten der inzwischen rund 500 Bundeswehr-Soldaten in Belet Huen, von denen das erste Vorauskommando schon Mitte Mai hier eingetroffen ist, verfolgen die Debatte in Deutschland um ihre Sicherheit daher einigermaßen verständnislos: „Hier war bisher noch gar nichts“, meint der Obergefreite Andreas Mollstätter, Vertrauensperson der Mannschaften, und er erzählt, daß der lange Postweg den Solaten weit mehr zu schaffen mache als alles andere. „Ich warte schon seit zwei Wochen auf einen Brief.“
Ferngespräche bald zum Inlandstarif
Für Unmut sorgen auch die hohen Telefongebühren – 15 Mark die Minute am Satellitentelefon – die allerdings demnächst auf deutsche Inlandtarife gesenkt werden sollen. Der feine rote Wüstenstaub, der zwischen den Zähnen knirscht und sich durch die Zeltplanen wie ein Schleier auf Uhren, Papiere, Wasserflaschen und durch die KLeider auch auf die Haut legt, ist ein ständiges Ärgernis. Und nun wird auch noch das Essen schlechter werden: Da in Dschibuti Fälle von Cholera aufgetreten sind, wird als Vorsichtsmaßnahme kein frisches Fleisch, Obst und Gemüse mehr von dort zu den Bundeswehr-Soldaten nach Belet Huen geflogen. Dosenkost bestimmt den Küchenzettel.
„Für jeden jungen Menschen eine große Chance“
Die Alltagsprobleme ändern nichts daran, daß die Stimmung der Truppe insgesamt gut ist: „Hier sind wir eine Art Familie“, meint der 21jährige Gefreite Harry Arens aus Saarbrücken, der glaubt, daß mit diesem Einsatz „einem jungen Menschen in meinem Alter eine Gelegenheit geboten wurde, die er nie mehr in seinem Leben hat.“
Für den Oberstabsfeldfebel Manfred Bruns ist „das, was wir hier machen, eine Herausforderung“. Er wollte gerne zu den Ersten in Somalia gehören – freiwillige Nachfolger des ersten Kontingents für die folgenden Monate und Jahre zu finden, könne schwierig werden, so glaubt er. Die Lust am Abenteuer oder gar am Krieg hat ihn nicht gelockt: „Ich bin kein Rambo. Ich hätte es nicht getan, wenn es ein reiner Kampfauftrag gewesen wäre.“ Dennoch läuft Bruns wie alle anderen Bundeswehr-Soldaten auch, selbst im Lager mit teilgeladenem G-3-Gewehr und 20 Schuß Munition herum. Das ist Sicherheitsvorschrift.
Der Einsatz in Somalia sei „eine sinnvolle Aufgabe“, findet Hauptfeldwebel Walter Overart, „eine Bewährungsprobe für die Bundeswehr“. – „Es ist schön, daß man das Gefühl hat, den Menschen hier wirklich helfen zu können“, sagt Andreas Mollstätter. „Sauberes Wasser für Flüchtlinge, Hilfe für Schule und Krankenhaus: das sind doch alles schon sehr wichtige Sachen.“
49.000 Liter Wasser für die Soldaten, 5000 Liter für die Flüchtlinge
Der unmittelbare humanitäre Einsatz ist allerdings nur ein kleiner Teil der Arbeit, den die Bundeswehr in Somalia übernommen hat. Die Versorgung von rund 5.000 indischen Soldaten mit Wasser, Lebensmitteln, Treibstoff und Ersatzteilen ist die Hauptaufgabe der 1.700 Bundeswehr-Soldaten, die in Belet Huen stationiert sein werden. Gegenwärtig werden täglich 55.000 Liter des schlammigen, bakterienverseuchten Wassers aus dem Fluß Shebele, der durch Belet Huen fließt, von einer kanadischen Anlage in Frischwasser umgewandelt. 6.000 Liter werden davon in die Zisternen der umliegenden Flüchtlingslager gefüllt, die „restlichen“ 49.000 Liter brauchen die ausländischen Militärs selbst. Ende August, wenn die Inder eingetroffen sind und mit ihrem Vorstoß nach Norden zur Entwaffnung dort operierender somalischer Milizen beginnen, wird der Bedarf sprunghaft in die Höhe steigen: Rund 450.000 Liter Flußwasser werden dann von insgesamt fünf Aufbereitungsanlagen jeden Tag gereinigt.
Bis es soweit ist, müssen aber noch viele Vorbereitungen getroffen werden: Im deutschen Camp etwa zwei Kilometer außerhalb der Stadt inmitten der Halbwüste werden Zelte aufgebaut und Moskitonetze aufgehängt. Die ersten Soldaten des Hauptkontingents fahren unterdessen mit mehr als 100 Fahrzeugen, Containern und Teilen eines Feldlazaretts, die gestern aus einem Transportschiff in Mogadischu entladen wurden, auf dem Landweg von der somalischen Hauptstadt nach Belet Huen. Begleitschutz stellen andere UNO- Truppen, eine Gefährdung des Militärs wird für unwahrscheinlich gehalten.
Zwei Belgier lebensgefährlich verletzt
Zwar wurden gestern nördlich der Hafenstadt Kismaio zwei belgische UNO-Soldaten beschossen und lebensgefährlich verletzt. Doch in Belet Huen scheint der Bürgerkrieg weit weg zu sein: Oberstleutnant Volker Halbauer berichtet zufrieden von den kooperativen Gesprächen mit den Ältesten der verschiedenen Clans. Im Distrikt werde jetzt von somalischer Seite entsprechend einem Vorschlag der UNO mit dem Aufbau einer lokalen Verwaltung begonnen: „Die Leute hier sind kriegsmüde.“
Zu einem Kampf zwischen Deutschen und Somalis ist es bisher nur auf sportlichem Gebiet gekommen: Bei einem Fußballspiel, das vor einigen Tagen vor rund 5.000 Zuschauern ausgetragen wurde. Die deutschen Kicker haben verloren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen