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Extra-Drill für die Widerborstigen

■ „Hauptsache: Überleben“: Uwe Storjohann erinnert sich an seine Jugend im Krieg

Leben wie in einem Trichter. Es wird enger, je härter die Kriegszeiten in Deutschland werden. Freiräume, die es in Friedenszeiten unter den Nazis noch gab, verschwinden. Es für die Menschen nur noch: Hauptsache: Überleben.

Das ist der Titel des Erinnerungs-Buches von Uwe Storjohann, das als zweiter Band in der Reihe „Eimsbüttler Lebensläufe“ erschien. Der heute 68jährige Rundfunkautor erzählt darin von seiner Jugend im Krieg 1936 bis 1945. Durch die hautnahe, persönliche Schilderung scheint das Erinnerte wie ein Roman. Doch alles geschah so, wie es Storjohann offen und ehrlich beschreibt. Vom Alltag im Dritten Reich entsteht ein Bild, das anders ist als Wochenschau-Aufnahmen und Abhandlungen in Geschichtsbüchern.

Angefangen beim täglichen Sportunterricht: „Sechsmal in der Woche eine Stunde, eine endlose Stunde Hohn und Spott für die Entmutigten, Schimpf und Schande für die Nieten, Kübel von Schikanen für die Mehlsäcke, die Tölpel und die Memmen, Extra-Drill und Zuchtinjektionen für die Widerborstigen, Verstockten, die Totalversager.“ Der Lehrer: Ein SA-Truppenführer. Nach diesen Erfahrungen versucht Uwe Storjohann sich vor der Hitler-Jugend zu drücken. „Wer immer mich nach meinen Pimpfenfreuden fragt, ich schwindle ihm die Hucke voll.“ Das war schwierig, denn die Eltern waren Nationalsozialisten. Als nichts mehr hilft, schlüpft er in einer Theatergruppe der HJ unter.

Verbotene Musik zu hören konnte Kopf und Kragen kosten. Mit schweißnassen Händen stellte er den Volksempfänger auf BBC-London ein. „Es ist nicht nur Angst. Ich habe auch ein schlechtes Gewissen. Ich lebe in einem quälenden Zwiespalt.“ Das Gefühl: „Du gehörst dazu, du bist ein Deutscher, und was du gegen Deutschland tust, ist Unrecht.“ Solche Gefühle verbrannten in den Hamburger Bombennächten. Nun galt nur noch, das eigene Überleben zu organisieren: Mit der Familie im Quickborner Gartenhaus zu wohnen und sich so lange wie möglich vor der Einberufung zur Wehrmacht zu schützen. Doch ab Dezember 1944 gehört auch Uwe Storjohann zu „Hitlers letztem Aufgebot“. Die Losung für den Endkampf unter den Soldaten: „Wer jetzt noch ins Gras beißt, hat selbst schuld.“

Uwe Storjohann zieht ein selbstkritisches Fazit: „Das ist mein Anteil an den Ungeheuerlichkeiten, die um mich herum geschehen, daß ich immer daneben sitze und zusehe, die geballten Fäuste in den Taschen, die Lippen fest zusammengepreßt, daß ja kein Ton herauskommt, die Wut gefesselt und geknebelt, der Mut unter Verschluß.“

Torsten Schubert

Uwe Storjohann, „Hauptsache: Überleben“, Dölling und Galitz Verlag, 24,80 Mark

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