: Serbien: Streik der Rüstungsarbeiter
■ Staatsgewerkschaften wollen „unkontrollierte Bewegung“ mit Ankündigung eines Generalstreiks spalten
Wien (taz) – In Serbien droht eine bisher ungeahnte Streikwelle. Bereits seit einer Woche stehen in einem der größten serbischen Rüstungsbetriebe, dem Großkombinat „Sloboda“ in Ćacak, die Maschinen still. In zwei weiteren Rüstungsbetrieben, den Traktoren- und Motorenwerken „IMT“ und „21. Mai“ haben Arbeiter Streikkomitees gebildet und drohen damit, noch in dieser Woche die Arbeit niederzulegen. Grund der Unzufriedenheit: Die Löhne liegen umgerechnet bei 30 DM, doch nach offiziellen Angaben benötigt eine vierköpfige Familie im Monat mindestens 300 DM, um über das Existenzminimum zu kommen.
Die Unzufriedenheit der Arbeiter gerade in der Rüstungsindustrie trifft das Milošević-Regime bedeutend härter als die spontanen Streiks, die längst zum serbischen Alltag gehören. In den letzten zwei Monaten legten in etwa hundert Betrieben die Arbeiter und Angestellten ihre Arbeit nieder, doch mit der Zusicherung von Lohnerhöhungen wurden die Protestaktionen, zu denen der unabhängige Gewerkschaftsbund „UGS“ aufgerufen hatte, jedesmal schnell eingestellt.
Dies könnte nun möglicherweise anders werden. In „Sloboda“, „IMT“ und „21. Mai“ bilden erstmals unabhängige Gewerkschaftsaktivisten mit Vertretern der staatlichen Einheitsgewerkschaft „SSS“ eine gemeinsame Front. Ein Vorgang, der in der Führung der Milošević-nahen Staatsgewerkschaft Besorgnis auslöst. Um der „unkontrollierten Streikbewegung“ zuvorzukommen, rief der Gewerkschaftsboß und Milošević-Freund Mica Sanović, alle Arbeiter für den 5. August zu einem Generalstreik auf, sollte sich bis dahin die Lohntüte der Arbeiter nicht vergrößert haben.
Für Milan Nilolić, dem Vize- Vorsitzenden der unabhängigen Gewerkschaften, ist dies nur ein „Trick, um die Protestbewegung zu spalten“. Für ihn ist der Aufruf seines Widersachers Sanović ein Manöver, durch das das Regime Zeit gewinnen wolle, um die für diese Woche geplanten Streikaktivitäten abzusagen und mit einem „kontrollierten Generalstreik“ die Unzufriedenheit der Arbeiter in geregelte Bahnen zu lenken. Gestern lagen von den Streikkomitees der Großfabriken noch keine Stellungnahmen vor, ob sie dem Streikbeispiel von „Sloboda“ oder dem Aufruf der staatlichen Gewerkschaften folgen werden. In der Vojvodina dagegen errichteten gestern unabhängige Bauerngewerkschaften mehrere Straßenblockaden, um so auf ihre miserablen Lebensumstände aufmerksam zu machen. Karl Gersuny/Pavle Imsirović
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen