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Sprachlose Häftlinge

■ Bündnis 90/Grüne klagt über Mißstände in Gefängnissen / Kritik an Reaktion der Justizverwaltung auf CPT-Bericht

Als „alarmierend“ hat der strafvollzugspolitische Sprecher von Bündnis 90/Grüne, Albert Eckert, gestern den kürzlich veröffentlichten Bericht einer Europaratskommission über Haftbedingungen in deutschen Gefängnissen bezeichnet. Die Mitglieder des „Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ (CPT) hatten im Dezember 1991 unter anderem die Justizvollzugsanstalten Moabit und Tegel sowie verschiedene Berliner „Polizeigewahrsame“ für Abschiebehäftlinge besucht.

„Der Bericht zeigt klar auf, daß es Mißstände gibt“, resümierte Eckert. Eine grundsätzliche Veränderung der Situation in den Berliner Haftanstalten gegenüber 1991 sehe er nicht. Der Senatsjustizverwaltung warf der Sprecher vor, den Bericht des Europarat-Gremiums „schönfärberisch und verschleiernd“ kommentiert zu haben.

Eckert forderte als Konsequenz aus dem Bericht die Auflösung der sogenannten „Dealer-Station“ im Gefängnis Tegel. In dem Bericht werden für Gefangene dieses Traktes mangelnde Kontakt- und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie die nur 5,5 Quadratmeter großen Zellen beklagt. „Faktisch handelt es sich dabei um Gruppen-Isolationshaft“, sagte Eckert.

Auch die „psychiatrisch-neurologische Abteilung“ der JVA Tegel müsse aufgelöst werden. Zu diesem Ergebnis sei schon ein Gutachten des „Forensischen Instituts der FU Berlin“ gekommen, das der Justizverwaltung seit 1988 vorliege und seitdem „unter Verschluß gehalten“ werde. „Warum sollen Gefangene nicht psychiatrische Einrichtungen außerhalb des Strafvollzugs nutzen“, fragte Eckert. In der Abteilung mangele es an Therapieeinrichtungen. „Das hat auch die Justizverwaltung kürzlich bestätigt.“

Auch eine Verbesserung der Situation im „Polizeigewahrsam“ sei dringend erforderlich. Im einzelnen forderte Eckert, die Ausländerbeauftragte solle eine regelmäßige Sprechstunde im „Abschiebegewahrsam Kruppstraße“ abhalten. Flüchtlingsberatungsstellen müßten die Möglichkeit erhalten, Inhaftierte zu beraten. Eckert beklagte außerdem mangelnde Fremdsprachenkenntnisse der Polizeibeamten: „Besonders schwierig ist die Situation für Osteuropäer, die kein Englisch können.“ Da nicht wenige Häftlinge sich über längere Zeiträume im „Polizeigewahrsam“ befänden, müßten ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Demgegenüber hatte die Senatsjustizverwaltung kürzlich erklärt, „insgesamt gesehen“ habe die Kommission die Situation in den besuchten Gefängnissen als „sehr zufriedenstellend“ eingeschätzt. Ulrich Jonas

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