: Dinge ohne Funktion
Das Surreale unterm Boudoir-Baldachin ■ Von Petra Brändle
Der Marlene-Dietrich-Anzug flattert, Suse Eichingers Haare wehen. Was dann folgt, ist ein fulminanter Ausbruch, der für einen Filmauftritt keinen zweiten Take gebraucht hätte. Aber die Rage war echt. Eine Filmcrew hatte sich ohne Absprache am Interieur des „Boudoirs“ vergriffen, am Allerheiligsten, dem Himmelbett, sogar. Wenn es um das Zentralorgan des „öffentlichen Salons“ geht, wird die Salondiva zur Löwin. Zu wichtig ist es schließlich im Konzept von Lena Braun, Suse Eichinger und Iris Schmied. Es ist der Ort der Kommunikation und des Kennenlernens; es ist auch das Zentrum der über zweieinhalb Etagen verteilten Ateliers, die die Boudoir- Damen vermietet haben. Mächtig wie ein Schiff steht das Bett mitten im Raum, schützend und schwülstig posiert ein Baldachin aus rotem und goldenem Satin über der Lagerstatt. Ein Lüstling, wer dabei an das Eine denkt? Nicht unbedingt. Der Gedanke drängt sich geradezu von selbst auf. Wahrlich ein Fressen für die Presse, die von allem magisch angezogen wird, was entfernt den Anschein einer Verruchtheit hat; „Boudoir“ und „Bordell“ wurden einfach gleichgestellt.
Selbstkritisch sehen die Salondamen heute ein, daß sie mit dem „schlüpfrigen“ Thema zu sehr gespielt haben: Zur Eröffnung im September 1992 wurde ein Text von de Sade gelesen – ironisch war's gemeint, verstanden wurde es nicht. Séparées, Dessous-Shows, wollüstige Pamphlete und laszives Auftreten – das Bild war perfekt. Wie reizvoll, daß die Damen außerdem das eigene Geschlecht vorziehen... Von der Ironie, der Satire, dem Surrealen aber wurde nicht berichtet, kritisiert Lena Braun. „Wir müssen unser Verständnis von Erotik wohl ein bißchen intellektualisieren; mehr Fremdworte einflechten, damit die das verstehen“, spottet sie. Also „trockener werden, so trocken wie Dörrpflaumen“, ergänzt Suse Eichinger, findet aber, daß das im Grunde ihrem Naturell widerspreche: „Alles sehr bedauerlich! Wir sind ja eigentlich total genußsüchtig. Wir lieben das Schwülstige! Aber die Deutschen haben wohl keinen Sinn dafür.“
Nach der Sommerpause nun wollen die drei auf diesen „Sinn“ Rücksicht nehmen, ihren Erotik- Begriff vom Sex distanzieren und überhaupt eine „ganz normale ungewöhnliche Galerie“ werden, in der alle fünf Wochen möglichst Kunst von Frauen ausgestellt werden soll. Einzige Bedingung: Die Kunst sollte eine ironische Leichtigkeit haben, Humor und Körperlichkeit entdecken lassen. Denn bei allzu Düsterem „kann man sich ja gleich umbringen“, findet Suse Eichinger. Gepflegtes Amüsement ist das Ziel ihres „teuren Hobbys“, das längst zum Hauptberuf geworden ist. Im Dienste des Amüsements poetisieren die Boudoir-Damen ihre Umwelt und „hebeln die Dinge aus ihrer Funktion“ (Braun). So landete das Bett in der Galerie, wo es nach landläufiger Meinung nichts zu suchen hat. Es lebe der Surrealismus, frohlocken sie.
Ganz real aber soll die Fabriketage als Partyraum, Bar und Galerie die Tradition des Boudoirs aufgreifen. In diesen eleganten Vorzimmern zu den Damengemächern, so weiß es die Geschichte, wurden im alten Frankreich Machtpositionen verteilt und Revolutionen geplant. Im Boudoir in Berlin-Mitte indes glaubt frau nicht mehr an die Revolution: „Die Welt verbessern? Viel zu anstrengend – und sinnlos“, winkt Suse Eichinger ab. Dafür sollen hier – möglichst unter dem Baldachin – die Fäden zusammenlaufen. Ein Netz soll Künstlerinnen, Galeristinnen und großherzige Spenderinnen verbinden, Männer sind als Mäzene und Gäste jederzeit willkommen. Für das Netz gibt es bereits einen Namen, auch ein Logo. Aber Vorsicht: Die Organisation ist die Parodie der Parodie und nennt sich „Queen Barbie Loge“. „Jede gegen jede“ ist das provokante Motto, ganz im „Widerstreit“ mit dem Logo. Dieses zeigt eine Mondsichel samt Stöckelschuh, der auf einem Pistolen-Penis plaziert ist. Alles klar? Es ist eine schlagfertige Antwort auf die wegen ihrer (angeblichen) Frauenfeindlichkeit umstrittenen Lord- Jim-Loge, ihrerseits wiederum eine Persiflage auf schlagende Männer-Logen.
Warum aber wählten die Salondamen eine Barbie-Puppe, zentraler Schlüsselreiz für jede gestandene Feministin, zur Königin? Nun ja: Mit „trockenem Feminismus“ hätten sie's nicht, da seien sie wohl altmodisch. Lena Braun: „Wir finden Barbies gut. Sie haben Busen, sind einfach geil, kriegen keine Kinder und haben – kein Geschlecht. Und sie verführen kleine Mädchen nicht zur Mutterrolle. Sie sind einfach eine Fiktion, und eben keine Ficktion, wie's wohl manche Männer gern hätten.“
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