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Welterlösung durch freie Liebe

Serie: Umland-Utopien (letzte Folge) / Eine Weltgemeinschaft mit freier Liebe und ohne Angst und Gewalt ist das Ziel des „Zentrums für experimentelle Gesellschaftsgestaltung“ bei Belzig  ■ Von Gerd Nowakowski

Es ist eines von mehreren gleichartigen Fotos, die an den Wänden zu finden sind, und zugleich eines, das wohl den Vorwurf an das „Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung“ (Zegg) begründet, es sei „sexistisch“ und reduziere die Frauen nur auf die Verfügbarkeit des Mannes: Die Brüste einer Frau, deren Kopf scharf abgeschnitten wird vom Bildformat, strecken sich dem Betrachter entgegen. Für Amelie Weimar ist das Bild ein gutes Beispiel. Selbstverständlich gebe es in der Gesellschaft eine vermarktete Sexualität, argumentiert sie: eine Verfügbarkeit sei aber beim „Zegg“ kein Problem, weil dort, anders als in der Gesellschaft, damit keine Verachtung der Frau verbunden sei.

Freie Liebe, sagt die angehende Medizinerin, bedeute, „frei von Angst, Mißtrauen, Verstellung und Lüge“ zu sein. Nur sekundär sei sie daran zu messen, mit wieviel Männern man zusammen sei. „Vielleicht will ich ja verfügbar sein“, betont die Frau mit den langen blonden Haaren, um deutlich zu machen, daß es für sie viele Formen der Lust gibt. Auch Homosexualität werde nicht abgelehnt, sondern als ein Teil der Sexualität anerkannt und gelebt. Allerdings ist man der Meinung, daß es eine ausschließliche gleichgeschlechtliche Fixierung nicht gibt. „Meine Freiheit ist die Freiheit der Wahl“, ergänzt Lilo Altgeld, die Geschäftsführerin des Zegg.

Das groß an eine Hauswand gemalte Zitat, das so sehr an die unfehlbaren Worte der großen Steuermänner nicht nur der DDR erinnert, könnte den Vorwurf untermauern, das Projekt habe faschistische Führerstrukturen. „Die ganze Biosphäre beginnt zu jubeln, wenn Menschen endlich in einen Stand der Liebe und Treue eintreten, die nicht mehr gebunden ist an Bedingungen“, wird Dieter Duhm zitiert. Daß dieser der Guru der Gemeinschaft sei, weist die Zegg-Geschäftsführerin zurück. Duhm, dessen Buch „Angst im Kapitalismus“ vor über zwanzig Jahren die Suche der Linken nach neuen Lebensformen beinflußt hat, sei lediglich der „geistige Inspirator“ des Projekts. Er habe mit den Erfahrungen seines früheren Gruppenexperimentes im Schwarzwald die „Gruppe angeleitet und zusammengehalten“.

Im übrigen aber suche man vergebens nach Dieter Duhm. Dieser habe niemals auf dem Gelände gewohnt, das im Sommer 1991 insgesamt 112 Menschen von der Treuhand für 2,1 Millionen Mark kauften, sondern lebe seit Jahren auf Lanzarote. Zwar sind seine Gedanken allgegenwärtig, doch Duhm, so wird versichert, habe sich ganz bewußt von Leitungsfunktionen ferngehalten, um dem „Guru“-Vorwurf entgegenzuwirken. Freilich, bei den großen Camps wie vergangenes Pfingsten und auch Ende Juli, wenn fünfhundert Menschen erwartet werden, ist er anwesend.

Für Amelie Weimar gehen bei ihrer Motivation, seit eineinhalb Jahren an dem Projekt in der Nähe von Belzig mitzumachen, die politischen und persönlichen Ziele ineinander. Die Zweierbeziehung habe sie nie befriedigt. Lange habe sie gebraucht, um zu begreifen, daß dies nicht am jeweiligen Mann, sondern an der Form der Beziehung lag, in der es nur „Enge und Frust am Sex geben kann“. Im Zegg steht dagegen der Versuch, eine „angstfreie Sexualität“ zu entwickeln, im Mittelpunkt. Diese ist für die Mitglieder zugleich der archimedische Punkt für eine Veränderung der Gesellschaft. Es ist gerade die von Duhm formulierte Ansicht, die Weltprobleme Krieg und Unterernährung könnten erst dann gelöst werden, wenn bei den Menschen der „Hunger nach Liebe gestillt“ sei, die dem Projekt immer wieder Anfeindungen aus dem linken Lager einbringt.

Wer eine Atmosphäre enthemmter Sexualität erwartet oder nach Indizien eines archaisch-kathartischen Psycho-Encounters sucht, wird enttäuscht. Der Lebenszuschnitt der rund vierzig Menschen, die fest auf dem fünfzehn Hektar großen Gelände leben, hat nahezu kleinbürgerliche Züge. Wer die aufgelöste Friedrichshof-Kommune des Otto Mühl kennt, mit der das Zegg vom Sektenpfarrer Gandow unentwegt verglichen wird, bemerkt, wie wenig gemein die beiden Projekte miteinander haben.

Computergefertigte Ficklisten gibt es nicht

Anders als am Friedrichshof sind beim Zegg die Menschen – rund die Hälfte davon Frauen – nicht einem Apparat mit autoritären und vom einzelnen unbeeinflußbaren Regeln unterworfen, hinter dem sich Machtgelüste zementieren. Computergefertigte Ficklisten gibt es ebenfalls nicht und selbst das Privateigentum ist nicht abgeschafft; jedes Mitglied kann eigene Möbel oder ein Auto besitzen. Von der brachialen Auflösung traditioneller Familienstrukturen ist man weit entfernt: Einige Familien wohnen mit ihren Kindern zusammen; Lilo Altgeld teilt sich auf dem weitläufigen Gelände eine Wohnung mit einer Freundin, und die Projektsprecherin Leila Dregger wohnt in einer Wohngemeinschaft. Die elf Kinder, die staatliche Schulen und Kindergärten in Belzig besuchen, hätten die freie Wahl, ob sie im Kinderhaus oder bei ihren Eltern wohnen möchten. Selbst interne Geldkreisläufe gibt es: Jedes Gruppenmitglied zahle monatlich dreihundert Mark Miete. Es könne außerdem entscheiden, für weitere vierhundert Mark im Monat von der Kantine verpflegt zu werden oder für sich selbst zu kochen.

Soviel dargestellte gesellschaftliche Normalität verwundert denn doch. Die Auflösung der Familienstrukturen strebe man an, doch müsse sich dies organisch entwickeln und könne nicht als Konzept verordnet werden, entgegnet Amelie Weimar. Freilich seien die konventionellen Beziehungen in der Minderheit; schließlich käme nur, wer Interesse an den Zielen habe und bereit sei, sich auseinanderzusetzen mit der Gruppe einerseits und den eigenen persönlichen Macken andererseits.

Dieter Duhm selber formuliert harte Kritik gegenüber dem gescheiterten Friedrichshof-Experiment. Für ihn gehe es um eine „gründliche Alternative“ zur Mühlschen Feudalherrschaft. „Individuelle Autonomie statt Gruppengehorsam, geistiger Pluralismus statt kollektivem Gleichschritt, geistige Orientierung durch eigene Erfahrung statt durch Anpassung nach oben“, hat Duhm vor kurzem in Abgrenzung zum Mühl- Projekt seine Ziele beschrieben.

Die „neuen Formen menschlichen Zusammenlebens ohne Angst und ohne Gewalt“, von denen das Zegg-Mitglied Birger Bumb spricht, werden vor allem im „Forum“ erarbeitet. Dahinter verbirgt sich eine Selbstdarstellungsform, zu der man sich nahezu täglich in der Gruppe zusammenfindet. Unter anderem werden mit Rollenspielen die zwischenmenschlichen Beziehungen und Persönlichkeitsstrukturen wie Neid, Eitelkeit, Machtstreben und Geilheit durchleuchtet.

Die intimsten Regungen und Aggressionen vor der Gruppe dazulegen, koste sehr viel Kraft, gibt Leila Dregger zu. Sie wird bald wegziehen, weil ihr derzeit das Zusammenleben zu eng sei und sie sich zumindest eine zeitlang die Anonymität der Großstadt wünsche. Mit einem endgültigen Ausstieg aber habe dies nichts zu tun, betont Leila. Diese zeitweise Trennung sei normal. Auch sie werde nächstes Jahr weggehen, um ihre Ausbildung im Krankenhaus fortzusetzen, ergänzt Amelie Weimar.

Manches in der selbstgestrickten Philosophie einer Welterlösung durch freie Liebe klingt ziemlich krude, aber eine Sekte ist das Zegg trotz derartiger Behauptungen seiner Gegner sicher nicht. Zu deutlich wird immer wieder, wie sehr man sich beim Zegg bemüht, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen. Offen zu bleiben sei wichtig, sagt denn auch Lilo Altgeld: „Jedes abgeschlossene Projekt ist über kurz oder lang gescheitert.“

Entscheidungen werden im Kollektiv getroffen

Ausgefeilte Hierarchie-Klassen, wie es der Friedrichshof in einer brutal-technokratischen Weise installierte, um den Machtanspruch von Otto Mühl und dem inneren Führungskeis zu sichern, gibt es beim Zegg nicht. Entscheidungen werden im Kollektiv getroffen – was informelle Hierarchien natürlich nicht ausschließt, wie zugegeben wird. Es gebe eben immer „natürliche Autoritäten“: Menschen, die „Power“ hätten und sich durchsetzen könnten. Im Unterschied zur Außenwelt setze man sich mit diesem Problem auseinander und schiebe es nicht weg, wird dem Einwand begegnet. Die persönlichen Unterschiede zu akzeptieren und dennoch Raum für die eigene Entwickung zu bekommen, müsse gewährleistet sein. Doch ähnlich wie bei der Eifersucht komme man dem Problem mit einem „intellektuellen Beschluß“ eben nicht bei, sondern nur durch ausagieren der Spannungen, die sich daraus ergäben.

Auf dem Gelände sind zahlreiche Projekte zu finden und haben sich interne Wirtschaftskreisläufe entwickelt. Im Hauptgebäude ist die Zegg-Universität mit ihrem Seminarbetrieb zu esoterischen und künstlerischen Themen untergebracht. Daneben gibt es eine Werkstatt, einen Buchladen, eine Dorfkneipe, ein Hotel für den Tagungsbetrieb und mehrere Unternehmen, die sich zumeist mit Umwelttechnologie beschäftigen. Die meisten festen Mitglieder arbeiten für diese selbstverantwortlich wirtschaftenden Unternehmen, einzelne auch außerhalb.

Ständig sind noch einmal rund fünfzig Gäste auf dem Gelände, auf dem früher die Gesellschaft für Sport und Technik residierte, die in der DDR für die vormilitärische Erziehung der Jugendlichen zuständig war. Die Gäste werden im Hotel und im großen Zeltlager untergebracht. Das Bild beherrscht der große Zeltbau für die Veranstaltungen, vor dem gegenwärtig ein großer kreisrunder Campus gebaut wird. Kommen kann jeder als Gast; er muß dafür allerdings bezahlen. Natürlich kämen durch die Verleumdungen als „alternatives Eros-Center“ auch immer wieder Menschen, die nur ficken wollten. „Denen“, so erzählt Amelie Weimar, „müssen wir dann klarmachen, daß das anders läuft.“

„Was wir machen, ist revolutionär“, sagt Lilo Altgeld beim Gespräch in der Zegg-Kneipe, „weil ich mit meinen intimsten Fragen, weil ich mit Liebe, Erotik und Sexualität nicht hinterm Berg halten muß“. Amelie Weimar nickt dazu. „Wir sind nicht immer revolutionär“, ergänzt sie dann und umreißt damit die Spannung zwischen den persönlichen Unzulänglichkeiten der Mitglieder und dem großen Anspruch, „aber das Projekt ist revolutionär.“

Kontakt: Zegg, Rosa-Luxemburg-Straße 39, 14806 Belzig

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