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Woodstock in Magdeburg

An die 10.000 Jugendliche besuchen das Umweltfestival „AufTakt“ / Abfallarm, mit Biokost und ohne Auto  ■ Aus Magdeburg Nicola Liebert

Auf den ersten Blick könnte dies eine Reise in die Vergangenheit sein. Indien-Klamotten, Pali- Tücher, wallende Mähnen, Selbstgestricktes allerorten auf der Magdeburger Elbinsel. Daß am ersten Abend des Jugend-Umwelt-Festivals AufTakt das Musical „Hair“ die jugendlichen Massen anzog, paßt zu diesem Eindruck.

Aber auf den zweiten Blick fehlen typische Bestandteile von Festivals: Auf den Wegen und Wiesen liegt kein Müll, kaum jemand raucht. Die klapprigen Enten, die Uralt-Daimlers sieht man auch nicht. Statt dessen stehen überall Tausende von Fahrrädern; die Magdeburger Elbinsel wurde für das Festival zur strikt autofreien Zone erklärt.

Und auch sonst ist AufTakt kein Woodstock-Revival. Wer hierher kommt, wird nicht in erster Linie von der Musik angezogen. Uwe Karlus, Politikstudent aus Berlin, erläutert seine Erwartungen: „Ich bin kein Einzelkämpfer. Ich schließe mich hie und da einer Aktion an, etwa für Flüchtlinge in Berlin. Aber wenn die vorbei ist, dann ist wieder nix. Ich hoffe, daß das hier der Anfang von etwas Dauerhafterem, von einer richtigen Bewegung ist.“

Die AufTakt-TeilnehmerInnen – insgesamt sollen es rund 10.000 sein, die meisten im Alter zwischen 15 und 25 – haben eine riesige Auswahl an Veranstaltungen, so viele, daß es gar nicht leicht ist, sich zurechtzufinden. Da werden einem Vertreter der Magdeburger Abfallentsorgungswerke massenweise Argumente gegen den Grünen Punkt geliefert. Gleich daneben rühren einige junge Frauen ihre eigene Naturkosmetik an. Gegenüber findet gerade ein fachkundiges Gespräch über das Fahrverhalten eines überdachten Fahrrades bei Seitenwind statt.

In einer Halle hängen gigantische Plakate an den Wänden, auf denen allein für den Donnerstag etwa 130 Workshops und Vorträge aufgelistet sind. „Der Kampf gegen die Ostseeautobahn“, „Jugendarbeit gegen Jugendgewalt“, „Earth Art, Kunst mit der Natur“ oder „Wie das Patriarchat abbauen?“. Ständig müssen die OrganisatorInnen mit neuen kleinen und großen Katastrophen kämpfen. Da können angekündigte Musikbands nicht kommen, der Schirmherr Robert Jungk ist krank. Dia- und Filmshows müssen verlegt werden, weil die Stromspannung in den dafür vorgesehenen Zelten nicht stimmt.

Dennoch: Die AufTaktler haben tatsächlich geschafft, ein ökologisches Festival auf die Beine zu stellen. Das Essen – Körner, verschiedene Salate, Gemüse, für dessen Zubereitung Hunderte von Freiwilligen mitverantwortlich sind – ist aus organischem Anbau, wird auf Mehrweggeschirr serviert und schmeckt auch noch gut. Die wenigen Mülltonnen auf dem Festivalgelände, in denen der Abfall nach Fraktionen getrennt gesammelt wird, sind meistens nicht einmal zu einem Viertel gefüllt.

AufTakt bietet aber mehr. „Mitunter trifft man sich ja mit Leuten und will politisch was machen. Aber dann weiß man nicht, was. Und so verläuft sich das Ganze dann wieder. Auf dem Festival werden Anregungen geboten, was man wirklich machen könnte“, so eine Münchener Studentin. In den Veranstaltungen werden nicht nur Probleme ausgewalzt, und selten gibt es fertige Lösungen. Bei einem der Workshops zur „Kampagne Autofrei“ sammeln die 25 TeilnehmerInnen erst einmal alles, was ihnen am Auto stinkt. Im nächsten Schritt schreiben sie auf, was man statt dessen alles mit Straßenraum machen könnte. Die Vorschläge reichen von Fußballspielen über Cafés und Kinderspielplätze bis zu Fahrradstraßen. Nun entwickeln kleine Arbeitsgruppen konkrete Aktionen. Nach knapp zwei Stunden hängen die Holzstellwände voll mit Plakaten, auf denen die verschiedensten Aktionsideen, weit über die üblichen Unterschriftensammlungen hinausgehend, aufgelistet sind: Man könnte Runde Tische mit den Verantwortlichen der Stadt bilden; man könnte mit Transparenten Kreuzungen sperren, schnell Cafétische und Stühle aufstellen und an die PassantInnen Kaffee und Kuchen verteilen; man könnte, um Verkehrsteilnehmerinnen aufzurütteln, Scheinunfälle inszenieren und und und. Zum Schluß werden noch Adressen ausgetauscht und regionale AnsprechpartnerInnen genannt. „Super“ fand ein Teilnehmer den Workshop. Er hätte nicht geglaubt, daß es so viele simple Aktionsmöglichkeiten gibt, um gegen den Autoverkehr zu demonstrieren. Jetzt will er möglichst schnell einen anderen Workshop besuchen, wo er Informationen darüber sucht, wie man eine AnwohnerInnen-Initiative gründet.

AufTakt ist also, auch wenn das Erscheinungsbild vieler BesucherInnen an Flower-Power erinnert, keine Reise in die Vergangenheit. Zwar mag AufTakt, ähnlich wie seinerzeit Woodstock, Symbol für einen Aufbruch sein. Aber die Jugendlichen sind pragmatisch geworden. Insofern kann AufTakt als das Woodstock der politisierten Generation gelten.

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