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Unterirdische Verschwendung

Beim U-Bahn-Bau im Ruhrpott geht es um Millionen  ■ Aus Bochum Walter Jakobs

Sein Amtsantritt geriet vielversprechend. Der neue Verkehrsminister Franz-Josef Kniola war 1990 in seinem Düsseldorfer Ministerbüro kaum angelangt, da überraschte er Freund und Feind mit neuen Tönen. Schluß sollte sein mit dem teuren U-Bahn-Bau. Auch in den laufenden Projekten müsse es darum gehen, daß die versenkten Straßenbahnen „relativ schnell die Oberfläche wieder erreichen“. Messerscharf analysierte der Minister, daß der Bau von U- Bahnen, „der in den 60er, 70er Jahren bei uns in großer Mode war, im wesentlichen dazu diente, dem Autoverkehr oben Platz zu schaffen“. Eine verhängsnisvolle „Mode“, denn ganz gleich, ob in Gelsenkirchen, Bochum, Düsseldorf oder Herne, die Stadtväter ließen buddeln, galt es doch mit den Metropolen dieser Welt gleichzuziehen. Bund und Land halfen kräftig: 60 Prozent der Gesamtkosten war dem Bund die „Mode“ wert; 30 Prozent steuerte das Land und 10 Prozent die Kommunen bei. Ein Boom brach los, den auch die gut begründete Kritik von Verkehrsexperten, Grünen oder Umweltschützern lange Jahre nicht zu stoppen vermochte. Daß der neue Minister endlich das Steuer rumzureißen versprach, stimmte hoffnungsvoll. Die Menschen, so verkündete er im Oktober 1990, wünschten „ein benutzerfreundliches Personennahverkehrsangebot an der Oberfläche“. Der Kunde wolle „aus dem Fenster schauen, wenn er fährt“. Und Kniola sprach auch von der „Angst“ vieler Menschen davor, in die an manchen Tageszeiten menschenleeren Bahnhöfe herabsteigen zu müssen. Zudem koste eine Stadtbahn unter der Erde „das Siebzehn- bis Achtzehnfache dessen, was wir an der Oberfläche brauchen“. Es gehe deshalb künftig vorrangig darum, die Straßenbahnen oberirdisch zu beschleunigen.

Solche Worte vernahmen auch die U-Bahn-Gegner in Bochum mit Wohlgefallen, waren doch die mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokraten vor Ort gerade dabei, ihre Vision von der „schienenfreien Innenstadt“ durch einen neuen Ost-West-Tunnel näher zu kommen. Mit dem Spitzensozi in Düsseldorf als Verbündeten schien der verkehrspolitische Betonkurs noch abwendbar. Zwar gab es auch innerhalb der Bochumer SPD von Jungsozialisten und einzelnen Ortsvereinen Kritik, aber gegen die in zahlreichen Filzaffären gestählte SPD-Ratsfraktion vermochten die parteiinternen U-Bahn-Rebellen nichts auszurichten. Ein zugedrehter Geldhahn in Düsseldorf versprach da wesentlich mehr Erfolg. Doch die Hoffnungen auf den neuen Minister in Düsseldorf trogen. Von einem Ausstieg aus dem U-Bahn- Bau ist in Bochum nichts zu spüren. Seit 1991 wird der Ost-West- Tunnel ausgehoben und in ein paar Wochen steht die Tunneltaufe des vorletzten Abschnitts auf dem Programm. Der Beton in den Köpfen der Bochumer Soziführung erwies sich auch für den Genossen Minister ein paar Nummern zu hart. 216 Millionen Mark werden nun nach Auskunft des Düsseldorfer Ministeriums für das Gesamtvorhaben in der Erde verbuddelt. Zur gleichen Zeit jammert die Stadt, die 10 Prozent der am Ende gewiß höher liegenden Gesamtsumme selbst aufbringen muß, über ein 80 Millionen Haushaltsdefizit. Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich sind an der Tagesordnung.

Knapp drei Jahre nach den kühnen Ministerworten, will man in Düsseldorf vom Scheitern der neuen Politik indes nichts wissen. Der Tunnelbau in Bochum stehe „nicht im Widerspruch“ zu den einst verkündeten Zielen, heißt es im Ministerium. Doch das Gegenteil ist richtig. Während man heute noch oberirdisch mit den zur Versenkung vorgesehenen Straßbahnlinien bequem die Bochumer Einkaufszonen erreichen kann, steht den KundInnen künftig nach dem Shopping ein beschwerlicher Weg in die tief liegenden U-Bahn- Schächte bevor. In einem Brief an mehrere U-Bahn-Kritiker verteidigte der Minister seine Zustimmung zum Tunnelbau u. a. damit, „daß eine wirksame Beschleunigung des Schienenverkehrs im engeren Innenstadtbereich aufgrund der örtlichen Verhältnisse nicht möglich ist“. So sei die jetzige Straßenbahnführung „überwiegend im Straßenbereich eingepflastert“. Tatsächlich rollen die Straßenbahnen im Tunnelbereich weitgehend auf einem eigenen Gleisbett. Für eine oberirdische Beschleunigung böte sich dieser Abschnitt deshalb geradezu an. Der gesamte Tunnel, so verteidigte Kniola in dem Brief das Bauvorhaben, werde die Fahrzeit gegenüber heute um fünf Minuten verkürzen. Ganz abgesehen davon, daß man auch oberirdisch die Fahrt beschleunigen könnte, sagt diese Zahl über die tatsächliche Zeitersparnis für die Fahrgäste nichts aus. Dadurch, daß künftig auf dem umstrittenen Abschnitt nur noch vier von bisher sechs Haltestellen eingerichtet werden, verlängern sich die Fußwege für die Nutzer ebenso wie durch den Abstieg in den Tunnel. „In den meisten Fällen“, so heißt es in einer detaillierten Analyse des für eine sanfte Verkehrspolitik streitenden „Verkehrsclub Deutschland“, werde die Gesamtzeit, „die die Fahrgäste benötigen, um Ziele in der Innenstadt zu erreichen“ durch den Tunnelbau steigen.

Als die grüne Ratsfraktion die sozialdemokratische Mehrheitsfraktion Anfang dieses Jahres erneut aufforderte, das „in jeder Hinsicht widersinnige Projekt“, so ihr Sprecher Dolf Mehring, per Baustopp endgültig einzustellen, fiel dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Heinz Hossiep nur noch zur Verteidigung ein: Ein solcher Schritt werde für den Haushalt der Stadt „katastrophale finanzielle Folgen“ haben, weil die Stadt dann die inzwischen verbauten Mittel in Höhe von 55 Millionen Mark zurückzahlen müsse. Diese Argumentation hat Tradition. Schon 1991, als die Buddelei am Ost- West-Tunnel begann, wurden den Kritikern die bis dahin erbrachten Vorleistungen als unvermeidliche Sachzwänge aufgetischt. Tatsächlich waren bereits 1982 beim Bau des Nord-Süd-Tunnels direkt unter dem Hauptbahnhof bauliche Vorleistungen für den jetzt im Bau befindlichen Tunnel erbracht worden. Während der grüne Verkehrsexperte Mehring die damals verbaute Summe auf „höchstens 10 Millionen Mark“ beziffert, spricht man im Düsseldorfer Verkehsministerium von rund 24 Millionen. Welche Zahl auch immer stimmt, ein Verzicht auf den Tunnel zugunsten einer oberirdischen Beschleunigung hätten die öffentliche Haushalte zu diesem Zeitpunkt allein bei den Investitionsausgaben um eine dreistellige Millionensumme entlastet. Doch damit nicht genug. Nicht nur der Bau der U-Bahn kommt um „das Siebzehn- bis Achtzehnfache“ teurer, auch die jährlich anfallenden Betriebskosten sind nach Kniolas eigenen Worten „erheblich größer“ als bei oberirdischen Anlagen. Die Bochumer Betonköpfe ließ der Minister gleichwohl gewähren. Ein paar Kilometer weiter, in der Reviermetropole Essen, scheint den bisher ebenfalls nicht gerade als besonders fortschrittlich beleumundeten Genossen dagegen inzwischen ein Licht aufgegangen zu sein. In der Messestadt soll es künftig keinen U-Bahn-Bau mehr geben, weil, so verkündete der Bauausschußvorsitzende Hans-Günter Bruckmann vor ein paar Tagen, „kostenträchtige, dunkle Röhren nicht mehr zeitgemäß sind“.

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