: Nachschlag
■ Trommelwirbel für Max: „Globe Unity“ überbläst Boxfilme
Der Posaunist ist Rechtsausleger. Unter dumpfen Stößen hält er sich den Trompeter vom Leib, der ihn mit kurzgeführten Sechzehnteln umtänzelt. Da kommt die trockene Gerade des Saxophons, die Posaune knickt ein, taumelt gequält und wird vom Piano angezählt. Pausengong vom Schlagzeug – Schnitt. Frühe Boxfilme mit Musik in der Akademie der Künste (West). Eine Spezialeinheit des Globe Unity Orchestra ging unter ihrem Leiter Alexander von Schlippenbach in den Ring, zum musikalischen infight. Improvisatorisch durchtrainiert, setzte man die entscheidenden punches kompositorisch knapp und versuchte ansonsten, den Gegner mal tonal in Sicherheit zu wiegen, mal mit atonalen Ausfallschritten zu irritieren. Die Augen strikt ringwärts und mit dem Rücken zum Publikum, reagierten die 8 Musiker auf das Geschehen im Schummerlicht der kleinen Leinwand.
1. Runde: der Kampf zwischen Max Schmeling und Steve Hamas am 10. März 1935 in der Hamburger Hanseatenhalle. Es war nicht nur der erste Auftritt eines amerikanischen Profikämpfers auf dem alten Kontinent, sondern auch eine der rüdesten Prügeleien der Boxgeschichte. Nach seinem technischen k.o. in der 9. Runde bestieg der Verlierer Hamas nie wieder einen Ring. Alexander von Schlippenbach hat dazu „eine kleine Musik eingerichtet“, die zunächst die Gladiatoren unter strammen Marschmusikklängen in die Arena geleitet. Die einzelnen Runden werden von Duoimprovisationen konterkariert, als Pausenfüller ertönt holpernd und schleppend der immergleiche Marsch. Im zweiten Durchgang folgt eine Komposition des amerikanischen Saxophonisten Steve Lacy aus dem Jahre 1975: „Rumbling (dedicated to Joe Louis)“. Seine Suite nimmt sich des legendären, 12 Runden dauernden Kampfes zwischen Max Schmeling und Joe Louis am 22.6.1936 im New Yorker Yankee Stadium an. Bekanntlich schlug Max „den Neger“ (Wochenschaukommentator) in der 12. Runde k.o., was der Zuschauer unterm Raunen des gestrichenen Basses noch einmal in Zeitlupe vorgeführt bekommt. Die Revanche folgt zwei Jahre und wenige Takte später. Ein Impromptu, kurz und schmerzhaft: Unterm Crescendo der Bläser wird Max gleich in der ersten Runde von einem Aufwärtshaken zu Boden gestreckt, und die Zeitlupe beklagt mit einer Ostinato-Figur vom Klavier den Untergang des deutschen Box-Reiches.
In den dreißiger Jahren begann man, selbständige Reportagefilme über Sportereignisse zu drehen (wohl nicht zuletzt zu Propagandazwecken). Welche innere Wesensverwandtschaft von Musik und Boxen allerdings die globale Spezialeinheit zu diesem Projekt getrieben haben mag, noch dazu in Zusammenarbeit mit der Berlin 2000 Olympia GmbH, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir zögern indessen nicht, von einem gediegenen musikalischen Faustwerk mit mancherlei Höhepunkten und einigen Längen zu sprechen und halten uns im übrigen an Joyce Carol Oates: „Boxen ist keine Metapher für das Leben, Boxen ist das Leben selbst.“ Thomas Fechner-Smarsly
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