: Im Westen verleumdet, im Osten glorifiziert
■ Vor fünfzig Jahren wurden in Plötzensee 16 Mitglieder der „Roten Kapelle“ hingerichtet / 120 Menschen verschiedener Herkunft arbeiteten gegen die Nazis
Heute vor fünfzig Jahren, in den frühen Abendstunden des 5. August 1943, wurden in der Strafanstalt Plötzensee dreizehn Frauen und drei Männer der „Harnack/ Schulze-Boysen Organisation“ mit dem Fallbeil hingerichtet.
Eine von ihnen war die damals 34jährige Berlinerin Hilde Coppi. Das Reichskriegsgericht hatte die Angestellte wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Spionage und Rundfunkverbrechen“ verurteilt. Ihren Mann ermordeten die Nationalsozialisten bereits im Dezember 1942. Auch ihre Eltern wurden verhaftet, später aber wieder entlassen. Sie zogen nach dem Krieg Sohn Hans auf, den Hilde acht Monate vor ihrem Tod im Frauengefängnis Barnimstraße geboren hatte.
Hilde Coppi war Mitglied der „Roten Kapelle“ – so wurde die Widerstandsgruppe nach deren Enttarnung 1942 von den Nazis benannt. Zur „Roten Kapelle“ gehörten 120 Menschen verschiedener sozialer Herkunft, wie zum Beispiel der im Reichsluftfahrtsministerium tätige Harro Schulze- Boysen oder der spätere Mitbegründer des ARD-Fernsehens, Adolf Grimme, aber auch Sekretärinnen, Studentinnen und Werksmeister.
Die Aufgaben der Widerstandsgruppe waren vielfältig: Die „Rote Kapelle“ produzierte und verteilte Flugblätter gegen das Nazi-Regime, auch wurden jüdische Mitbürger unterstützt und versteckt. Hilde Coppi zum Beispiel klebte im Mai 1942 mit ihrem Mann Zettel gegen die antisowjetische Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“. „Besonders wichtig war in der damaligen Zeit der Zusammenhalt untereinander“, sagt Hilde Coppis Sohn Hans, Dozent an der Freien Universität und Mitarbeiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. „Die Rote Kapelle hoffte auf einen baldigen Zusammenbruch des Dritten Reichs und bereitete sich für die Nachkriegszeit vor.“ Manchen, so Coppi, schwebte ein sozialistischer Staat vor, andere wollten ein demokratisches System. Verbindliche Ideologien für alle Gruppenmitglieder hätte es aber nicht gegeben. Einige der Mitglieder hatten Kontakte zum sowjetischen militärischen Nachrichtendienst nach Moskau und Verbindungen zu Untergrundorganisationen in Frankreich und Belgien.
Eine Botschaft von Moskau nach Brüssel wurde der Widerstandsgruppe im Sommer 1942 zum Verhängnis. Die deutsche Funkabwehr entschlüsselte ein Telegramm, in dem ein Abgesandter des sowjetischen militärischen Nachrichtendiensts Harro Schulze-Boysen, den Kopf der Organisation, in Berlin treffen sollte. Die Folge: Die 120 Mitglieder, die sich größtenteils untereinander kannten, wurden nach und nach von der Gestapo festgenommen, verhört und inhaftiert. 50 Mitglieder, darunter 19 Frauen, wurden vom höchsten Militärgericht, dem Reichskriegsgericht, 1942/43 zum Tode verurteilt. Die gesamte Aktion hielten die Nazis vor der Bevölkerung geheim, die Leichen wurden nicht bestattet, sondern für medizinische Zwecke freigegeben.
In der Bundesrepublik geriet die „Rote Kapelle“ in Vergessenheit. „Im Dritten Reich wurden die Mitglieder der ,Roten Kapelle‘ als Landesverräter stigmatisiert“, sagt Hans Coppi. „Das änderte sich auch nicht nach dem Krieg.“ Ein Indiz dafür sei, daß die Mehrzahl der damals tätigen Richter nicht ihres Amtes enthoben wurden und zum Zerrbild der „Roten Kapelle“ beitrugen. Noch 1951 bezeichnete die Staatsanwaltschaft Lüneburg die Prozesse um die „Rote Kapelle“ als „ordnungsgemäßes Verfahren“.
In der DDR dagegen wurde die Harnack/Schulze-Boysen-Gruppe als „große Organisation unter der Leitung der KPD und der Moskauer Führung“ dargestellt. „Auch das ist ein völlig falsches und verzerrtes Bild“, so Coppi.
Mitte der achtziger Jahre gab es in der Bundesrepublik einen Wandel in der Bewertung der Widerstandsgruppe. Die Biographien der einzelnen Mitglieder wurden aufgearbeitet, Tagungen veranstaltet, Ausstellungen organisiert. 1985 ächtete der Bundestag die Urteile des Volksgerichtshofes in einer einstimmigen Erklärung. Das fordert Coppi auch für die Opfer der „Roten Kapelle“ und für die 30.000 anderen Todesurteile der Wehrmachtsjustiz. Julia Naumann
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