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Happy-Öko-End

■ betr.: "Schilf statt Atom", taz vom 31.7.93

betr.: „Schilf statt Atom“,

taz vom 31.7.93

Während sich die Atmosphäre weltweit dem Kollaps nähert, Ozonwerte den Sommer in einen braunen Blätterherbst verwandeln, 70 Prozent der Bäume hinüber sind, Millionen von Menschen auf Wanderschaft vor Krieg, Katastrophen und Haß sind, die Wirtschaft ihre Existenz auf der Produktion von Nutzlosem und Schädlichem aufbaut, die Völker sich wegen nichts und wieder nichts massakrieren, hassen, verfolgen und ausbeuten bis zum Knockout, während alldem plaudert Herr Alt von Schilfgras und nährt den Glauben all jener (Verzweifelten) auf ein Happy-Öko- End, die mit anschauen müssen, wie eine kleine Minderheit von Begüterten (BRD, USA, Japan) alles zu Klump haut und vergiftet. Dieser energiegeladene Planet, voller Schönheit und Wunder, ist für uns Dreckspatzen und Egotrip-Reisende eben nicht geschaffen, Herr Alt.

Wollen wir warten, bis Kinder röchelnd am Straßenrand liegen, weil sie keine Luft mehr bekommen? Für jeden Scheißarbeitsplatz wird demonstriert und gehungert, aber die Lebensgrundlage aller Menschen wird derweil dem dualen System zur weiteren Verwendung verhökert. Es ist doch komisch: Überall da, wo es wenig Menschen gibt, gibt es auch wenig Probleme. Geld, Autos, Fernseher, Flugzeuge und Strom kann man nicht essen, wann begreifen das die Leute endlich? Nicht solange Leute wie Franz Alt auf Nebenkriegsschauplätzen (längst bekannte) Ökotips geben. [...] Thorsten Casmir, Griesheim

Es liest sich so einfach, was Franz Alt empfiehlt: Schilfgras auf dem Acker statt Atomkraftwerken auf dem Lande. Die Bauern bräuchten es nur anzupflanzen und „müssen nur ernten. Alles andere macht die Natur.“ Damit wäre die Energiewende eingeleitet. CO2- und Treibhausprobleme gelöst.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat eine kritischere Haltung zur Altschen Wunderdroge. Am selben Tag der taz-Ökolumne veröffentlichte die Landwirtschaftskammer Hannover eine Untersuchung über Schilfgras („Land und Forst“, 31.7.93). Die Kammer testet seit zwei Jahren den Schilfgrasanbau in der Praxis. Ergebnisse: Im ersten Anbaujahr erwartungsgemäß sehr geringe Ertragsleistung. Im zweiten Anbaujahr erhebliche Probleme beim Wiederaustrieb der Schilfgraspflanzen, bis zu 80 Prozent (!) der Jungpflanzen abgestorben. Volle Ertragsfähigkeit nur bei optimalen Standorten. Bei der Sommertrockenheit 92 war intensive Beregnung notwendig. 1993 traten in jungen Schilfgrasbeständen verheerende Pflanzenausfälle auf, an einem Standort wurde die Neupflanzung zu 100 Prozent (!) vernichtet. Die Kammer kommt zu dem Schluß: Bei Pflanzgutkosten von 10.000 bis 15.000 DM pro Hektar sind diese Pflanzenausfälle nicht tragbar. An den Ursachen muß noch viel geforscht werden.

Festzuhalten bleibt: Das Anbaurisiko bei Schilfgras ist derzeit noch sehr hoch. Schilfgras reagiert sehr sensibel auf Umweltfaktoren (Klima, Standort, Nährstoffversorgung). Was sich theoretisch so einfach in Büchern und in der taz schreiben läßt, erweist sich in der bäuerlichen Praxis oft als längerer, komplizierter Erfahrungs- und Entwicklungsprozeß. Georg Janßen,

Bundesgeschäftsführer der AbL,

Lüneburg

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