Sanssouci: Vorschlag
■ „Deutschland macht Angst“ – EIN-Blicke im HdKdW
„Angst vor Deutschland? Sicher gibt es die in der Türkei“, sagt Altan Öymen. „Natürlich fürchtet man um die Sicherheit der in Deutschland lebenden Angehörigen. Andererseits gibt es genügend Deutschlandkenner, die wissen, daß nicht alle Deutschen ausländerfeindlich sind.“ Öymen ist seit über einem Jahrzehnt Chefkolumnist der türkischen Tageszeitung Milliyet, von deren Europa-Ausgabe in Deutschland täglich etwa 30.000 Exemplare verkauft werden. Er ist selbst ein Deutschlandkenner: zwischen 1962 und 1966 war er Presseattaché der türkischen Botschaft in Bonn. Heute ist er im Haus der Kulturen der Welt zu Gast, wo er sich in Thomas Hartmanns allmonatlicher Gesprächsrunde „EIN-Blicke“ zum Thema „Deutschland macht Angst. Türkische Reaktionen nach dem Anschlag in Solingen“ äußern wird. Seine GesprächspartnerInnen sind Emine Demirbüken vom „Bund der EinwanderInnen aus der Türkei“ und Ertugrul Uzun vom „Verband Türkischer Wissenschaftler in Europa“.
Öymens Ansicht nach macht Deutschland vorwiegend denjenigen Nationen Angst, deren Deutschlanderfahrungen stark vom reichsdeutschen Wesen geprägt sind. Er verweist auf englische, französische oder amerikanische Artikel, deren Schreiber sich das einig Vaterland schon wieder in brauner Uniform vorstellen können. Auch den Deutschen selbst sollte Deutschland Angst machen, denn: „Wenn sich die Lage zuspitzt, können die Türken in die Türkei zurückkehren. Die Deutschen jedoch müssen bleiben. Dann werden andere Minderheiten ins Schußfeld geraten.“ Türken und Deutsche müssen das Problem zunehmender Übergriffe gemeinsam lösen. Der rechtsstaatliche Handlungsspielraum der Türken ist allerdings gering. „Sie müssen ein Wahlrecht erhalten, wenn sie schon Steuern zahlen und auch alle Pflichten eines Bundesbürgers erfüllen. Die Lage kann sich nur dann entspannen, wenn auch Bürger türkischer Herkunft im Polizeidienst sind oder in anderen Beamtenstellen sitzen.“
Maßnahmen, wie sie das Land Nordrhein-Westfalen ergreift, das Informationsbroschüren mit Selbstverteidigungshinweisen (zum Beispiel Feuerlöscher bei sich führen) an AusländerInnen verteilt, belächelt Öymen eher. „Das zeigt, daß sich die Polizei außerstande sieht, die ausländischen Bürger zu schützen.“ Eine Bankrotterklärung? „Das ist ein scharfes Wort.“ Kann er verstehen, daß türkische Jugendliche zunehmend den Wunsch verspüren, sich zu bewaffnen? „Wenn jemand Brandbomben auf Sie wirft, werden Sie sich nicht mit Fäusten verteidigen können“, sagt er. „Aber ich würde niemals jemandem zur Bewaffnung raten. Alle demokratischen Wege des Selbstschutzes müssen beschritten werden.“ Einen Streik beispielsweise kann er sich vorstellen, Demonstrationen weniger. „Da kommt es dann zu irgendwelchen Zwischenfällen, die die Rechten dann für sich ausnutzen.“ Und immer wieder betont er, daß es in erster Linie die Deutschen sind, die ein Problem haben, auch wenn der breiteren Masse dies nicht bewußt sei. Daß die faschistoide Tendenz einer deutschen Minderheit irgendwann im ganzen Land wieder Unterstützung finden könnte, glaubt Öymen jedoch nicht. Und dies, obwohl er denkt, daß geschichtliche Prozesse zyklisch verlaufen. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus hält er für zu präsent, die demokratische Basis für zu stark, als daß eine rechtsextreme Partei in Deutschland die Mehrheit erlangen könnte. Altan Öymen ist nicht nur ein Deutschlandkenner, sondern auch ein Deutschlandoptimist. Petra Kohse
Heute von 17 bis 20 Uhr im Haus der Kulturen der Welt, John- Foster-Dulles-Allee, Tiergarten: „EIN-Blicke, die Sicht der anderen“ zum Thema „Deutschland macht Angst. Türkische Reaktionen nach dem Anschlag in Solingen“ mit Altan Öymen, Emine Demirbüken und Ertugrul Uzun. Moderation: Thomas Hartmann.
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