: Wieder in alle Winde?
Der Vertreibungsdruck wächst, Solidarisierung bringt keine Erfolge, und so muß sich der einzelne irgendwie alleine durchschlagen. Die Roma sind erkennbar keine Deutschen ■ Von P. Jovanović
Janus schlendert zu seinem Treffpunkt. Unvermutet ist ein Streifenwagen herangerollt, fährt einige Augenblicke neben ihm her. Langsam. Der Beamte kurbelt das Seitenfenster herunter und ruft ihm zu: „Bleib mal stehen!“ Janus bleibt stehen, der Streifenwagen bleibt stehen, die Beamten steigen aus. Ausweiskontrolle. Janus mit der dunklen Haut der Roma, schwarze Haare, ist erkennbar kein Deutscher.
Iwan kommt vom Ausländeramt zurück. Kein neuer Stempel. Die Grenzübertrittsbescheinigung für ihn, seine Frau und seine drei Kinder bleibt unverrückbar gültig. Keine neue Duldung, der Termin steht: am 28. August soll er das Land verlassen. Wenn bis zu diesem Tag von keiner Grenzstelle sein Auszug aus Deutschland gemeldet wird, droht im die Zwangsabschiebung. Die meisten Menschen im Roma-Wohnhaus, 30 Familien leben hier, haben dieses Papier ebenfalls erhalten. Die anderen müssen täglich damit rechnen.
Janus kann seinen Weg fortsetzen. „Wenn wir dich nächstes Mal mit diesem Papier erwischen, bist du reif!“ haben die Beamten ihm gesagt. Seine Duldung ist ebenfalls abgelaufen. Er ist 18 Jahre alt, hat eine Lehre als Dreher begonnen, lebt mit seinen Eltern im Kirchenasyl. Die Ausländerbehörde ist bislang nicht eingeschritten, obwohl die Familie schon seit einem Jahr zur Abschiebung ausgeschrieben ist. Seit einem Jahr aber genießt sie den Schutz einer evangelischen Gemeinde. Sie soll eigentlich nach Serbien deportiert werden. Weil dort die Roma zwangsrekrutiert werden für den Krieg und auf ihre Brüder schießen müßten, die in Kroatien oder in Bosnien leben, und weil die Deutschen eine besondere Verantwortung haben für dieses im Holocaust gemordete Volk, hat sich die Gemeinde zu diesem Schritt durchgerungen. Nach langen und heftigen Auseinandersetzungen hat die Kirche zwei Roma-Familien Asyl gewährt.
Das sind 2 von 90 oder 95 Roma-Familien, die in der Stadt leben. Vielleicht sind es 10 mehr. Aber zu diesen 90 hat der Rom- Verein Kontakt. Vorsitzende ist eine Frau, die erst vor einigen Jahren ihr „Coming-out“ als Roma hatte. Sie kam mit ihren Eltern und ihrer Schwester in den sechziger Jahren nach Deutschland, arbeitet als Sekretärin, ist verheiratet mit einem Deutschen, hat zwei Kinder. Als die Verfolgungen von Roma, ihre öffentliche Diffamierung als Diebe und Bettler unerträglich wurden, hat sich die Familie ihrer Herkunft, ihrer Kultur und Geschichte besonnen und den Interessenverein mit aufgebaut.
Die meisten Roma haben sich hierherbegeben, um dem Krieg und der Verfolgung im ehemaligen Jugoslawien oder in Rumänien zu entgehen. Doch auch hier die Drohung, daß sie abgeschoben werden. Janus ist dennoch nicht zermürbt. Er trifft sich im Haus des Rom-Vereins mit anderen Roma und mit deutschen Unterstützern. Ob sie mitmachen bei demonstrativen Grenzblockaden, jetzt, wo Roma in Kehl sind, wo der Europäische Gerichtshof angerufen wurde?
Unten im Keller probt eine Tanzgruppe. Das Akkordeon peitscht die Melodien mit den typischen Tonfolgen durchs ganze Gebäude. Alle haben die begeisternde Aufführung von „Magneten“ gesehen, haben sich anstecken lassen von den Roma-Musikern und -Tänzern aus aller Welt, die mit dieser Show durch Deutschland reisen. Spontan hat sich eine Gruppe zusammengefunden, sie wollen arbeiten an ihrer Musik, ihren Tänzen, haben einen erfahrenen Rom-Musiker engagiert, proben, wollen aufführen.
Oben die Beratung. „Wir haben soviel schon mitgemacht in den letzten Jahren. Den Kölner Dom besetzt. Der Hungermarsch. Monatelang das Protestlager vor dem Düsseldorfer Landtag. Dann die Autobahnblockaden an der Schweizer Grenze. Jetzt hoffen wir mit unseren Brüdern, die in Dachau protestiert haben. Aber der Vertreibungsdruck zwingt viele wieder in die alte Haltung zurück: sich einzeln durchschlängeln durch die feindliche Gesellschaft. Viele sind ja schon illegal, die können sich keine solchen Protestaktionen mehr erlauben.“ Michael ist nicht resigniert, aber realistisch. „Und was ist mit euch? Ihr könntet euch eine solche Aktion doch eher leisten.“
Die Frage geht an die Deutschen.
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