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Wo das Öl Leben vernichtet

In den Ölfeldern Nigerias wächst der Protest gegen ökologische Verseuchung / Das kleine Volk der Ogoni kämpft gegen Shell und Militärjunta  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Wo schlägt das Wirtschaftsherz Afrikas? In Nigeria – wo jeder vierte Schwarzafrikaner lebt und ein noch größerer Teil des afrikanischen Bruttosozialprodukts erwirtschaftet wird. Und wo schlägt das Wirtschaftsherz Nigerias? Im Niger-Delta – dort, im Südosten des Landes, wird das Erdöl gefördert, das 95 Prozent der nigerianischen Exporteinnahmen ausmacht und Nigeria zum fünftgrößten Ölexporteur der Welt gemacht hat.

In den phantastisch produktiven Ölfeldern des Delta-Bundesstaates Rivers State stehen Tausende von Bohrtürmen, Raffinerien, chemische Fabriken und andere Industrieanlagen dicht an dicht. 24 Stunden am Tag lodern riesige Flammen abgefackelten Gases – wie in den arabischen Ölemiraten. Der Unterschied: die arabischen Ölfelder liegen in der Wüste – die nigerianischen befinden sich mitten in dichtbesiedeltem Ackerland. Zwei Millionen Menschen leben in Gemeinden, die von den Auswirkungen der Ölförderung schwer geschädigt sind – darunter ganze Minderheitenvölker, die sich gegenüber Ölmultis und nigerianischer Regierung schutzlos fühlen. Am schwersten betroffen sind die Ogonis, ein Volk von etwa 700.000 Menschen, auf dessen etwa 1.000 Quadratkilometer großem Siedlungsgebiet nahe der Stadt Bori allein 30 Prozent des nigerianischen Öls gefördert werden – vom multinationalen Ölriesen Shell, zusammen mit nigerianischen Partnern.

Von dem auf ihrem Land geförderten Reichtum haben die Ogoni nichts. Die Einkünfte aus dem Ölexport gehen nach einem festen Schlüssel an die nigerianische Zentralregierung und an die mittlerweile 30 Bundesstaaten – doch in der Regierung ihres Bundesstaates Rivers State sind die Ogonis nicht vertreten, und so kriegen sie nichts ab. Hätten sie einen eigenen Bundesstaat, so könnten sie direkt an den Ölgeldern teilhaben. Zum Zwecke größerer Autonomie für die Ogonis gründete daher der einstige Staatsminister und Schriftsteller Ken Saro-Wiwa 1990 die „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“ (MOSOP).

Saro-Wiwa beschuldigt Shell, das Land der Ogonis unbewohnbar gemacht zu haben, und spricht vom „ökologischen Krieg“. Internationale Aufmerksamkeit erregte seine Bewegung erst im Januar 1993, als er auf der Weltkonferenz der sogenannten „UNO der Minderheitenvölker“, der „Organisation nichtrepräsentierter Völker und Nationen“ (UNPO) in Den Haag auftrat. Gegenüber der britischen Times nannte Saro-Wiwa Shell seinen „Todfeind“ und sagte: „Seit 1977 sind sie im Ogoni-Land präsent, und bald werden sie für den Genozid meines Volkes verantwortlich sein. Ihre Öllachen verpesten den Boden, die Gasabfackelungsanlagen verbreiten Ruß und giftigen sauren Regen, der unsere Ernten vernichtet.“

Um den strengen Gesetzen der nigerianischen Militärregierung zu entgehen, haben sich die Aktivitäten von MOSOP immer primär gegen die Ölfirmen gerichtet und politische Forderungen hintangestellt. Doch hat die Bewegung dennoch den Unmut der Regierung auf sich gezogen, deren wirtschaftliches Überleben schließlich von den Ölfirmen abhängt. Schon im Oktober 1990 wurden 80 Menschen getötet, als die Armee auf eine Ogoni-Demonstration das Feuer eröffnete. Jetzt ist daraus eine breite Protestbewegung geworden – und sie hat sich zu einem wichtigen Teil der wachsenden nigerianischen Demokratiebewegung entwickelt, die gegen die Annullierung der im Juni abgehaltenen Präsidentschaftswahl durch die herrschende Militärjunta und die seitherigen Morde und Verhaftungen protestiert.

Ihr Beginn kam eher zufällig. Als Bauern des Ogoni-Dorfes Biara am 29. April ihre Felder bestellen wollten, wurden diese gerade von Dampfwalzen plattgemacht: Die nigerianische Tochter der US-Baufirma Willbros war dabei, für Shell eine neue Pipeline zu bauen, die durch mehrere Dörfer führen sollte, und mußte dafür einen 15 Meter breiten Streifen Erde freiräumen. Der Tag war gut gewählt: Mehrere Ogoni-Führer waren zuvor verhaftet worden, und viele Ogonis waren zu einer Demonstration in die Provinzhauptstadt Port Harcourt gereist. Erst nach ihrer Rückkehr am nächsten Tag kam es zu einem Protestmarsch in Biara. Was dann geschah, berichtete die nigerianische Zeitung Daily Satellite so: „Die Willbros-Arbeiter zogen ab und kamen einige Stunden später zusammen mit Lastwagen voller bewaffneter Soldaten zurück. Diese eröffneten auf die Bauern das Feuer“. Zwanzig Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

„Entweder wir gewinnen diesen Krieg, um unser Land zu retten, oder wir werden ausgelöscht“, war daraufhin die Parole von Ken Saro-Wiwa. Die Eskalation kam schnell: Die Ogoni-Demonstrationen hielten an; am 2. Mai brach Shell die Bauarbeiten in Biara ab, bat jedoch zwei Tage darauf die Provinzregierung von Rivers State, die Fortführung der Arbeiten zu gewährleisten. Am 5. Mai verabschiedete die Militärregierung Nigerias ein neues Hochverratsgesetz, das zum ersten Mal die Todesstrafe für Meinungsäußerungen zugunsten „ethnischer Autonomie“ vorsieht.

Die Ogoni-Bewegung MOSOP rief daraufhin zum Boykott der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni auf – im Gegenzug durfte MOSOP-Führer Saro-Wiwa nicht zur Wiener UNO-Menschenrechtskonferenz ausreisen. Am 21. Juni wurde er verhaftet; Proteste der Ogonis wurden mit der Abriegelung ihres Siedlungsgebietes durch die Armee beantwortet.

Ken Saro-Wiwa ist in Nigeria weniger als Politiker denn als Autor populärer TV-Dramen und Vorsitzender des nigerianischen Schriftstellerverbandes bekannt. Seine im Gefängnis geschriebene Schilderung der Haft ist berühmt geworden. „Alhaji Rangiwa, ein bleistiftdünner Mann mit würdeloser Haltung in langen Hausa-Roben, war nervös“, beschreibt er sein Verhör im Büro des nigerianischen Geheimdienstes in Lagos. „Er bewegte sich immerzu aus seinem Büro hinaus und wieder herein und spielte unablässig auf seinen mobilen Telefonen, die er anscheinend nicht zu bedienen wußte.“ In Lagos blieb Saro-Wiwa nicht. Er wurde zusammen mit anderen MOSOP-Aktivisten in das Owerri-Gefängnis nahe Port Harcourt verlegt, wo sich sein Gesundheitszustand so stark verschlechterte, daß er am 22. Juli auf Kaution formal entlassen wurde, um in einem Krankenhaus gepflegt zu werden – in das man ihn bereits zuvor gebracht hatte.

Im Ölfördergebiet, wo die Ogonis leben, hat sich die Lage inzwischen nicht verbessert. Offiziell, berichtet die Zeitung Daily Sunray aus Port Harcourt, hat die lokale Shell-Filiale ihre Aktivitäten im Ogoni-Land wegen unaufhörlicher „Störungen“ durch Ogoni-Aktivisten eingestellt. Doch das hat eine paradoxe Konsequenz: Seit dem 12. Juni – dem Tag der Präsidentschaftswahl – laufen größere Mengen Öl aus einer defekten Pipeline im Ogoni-Siedlungsgebiet. Die umliegenden Äcker, Ströme und Sumpfwälder werden seit nunmehr fast zwei Monaten vom Öl verseucht.

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