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Smoking mit rosa Blümchensocken

■ Der Berliner "Hochhauspapst" und Architekt Hans Kollhoff kritisiert die moderne Fliesenarchitektur als "unverfroren und kulturlos" / Alles verschwindet unter einheitlicher Beschichtung / Konjunktur des...

taz: Sie sind anläßlich eines Symposiums mit Arbeiten Ihrer Berufskollegen als „unverforen und kulturlos“ und als „Fliesenakrobatik“ hart ins Gericht gegangen. Was Sie kritisiert haben, sieht man bei sehr vielen neuen Bank- und Versicherungsbauten. Was hat Sie zu dieser ungewöhnlich harschen Kritik bewegt?

Hans Kollhoff: Bauherren, die eine qualitätvolle Arbeit von einer oberflächlichen unterscheiden können, sind rar geworden. Wir stellen in der Praxis zunehmend fest, daß ein gewisser Anspruch an Detail, Material oder auch Proportionen und Raumgrößen nicht auf Gegenliebe stößt, oft nicht einmal verstanden wird. Fragt man nach den Gründen, wird offensichtlich, daß diese Ignoranz auch darauf zurückzuführen ist, daß viele meiner Berufskollegen ihren Anspruch offenbar so weit heruntergeschraubt haben, daß die architektonisch- handwerkliche wie auch geschmackliche Trostlosigkeit repräsentativer, im Stadtbild oft dominanter Bauten zur Regel geworden ist. Das habe ich kritisiert.

Was genau ist an diesen Bauten, die Sie kritisieren, so schlecht?

Aus bauphysikalisch-konstruktiven Gründen sind wir heute gezwungen, die Häuser zu verkleiden. Nun gerät aber das moderne Diktum der Ehrlichkeit, zu zeigen, daß etwas verkleidet ist, in Widerspruch zu der gleichzeitig verfolgten Absicht, eine Architektur zu verwirklichen, die solide in Erscheinung tritt. Man kommt aus der Stahl-Glas-Architektur, die sich ja auf der grünen Wiese jahrzehntelang austoben konnte, und stellt fest, daß die Stadt einen anderen Ausdruck verlangt, als sei man im Jogging-Anzug in einen abendlichen Empfang geraten. Man tauscht die Glasscheibe einfach gegen eine Steinplatte, oft millimeterdick heruntergeschliffen, aus. Oder man befestigt den Stein mit Edelstahlankern an der Betonwand, läßt dabei aber die Fugen aus Gründen der Hinterlüftung und des unterschiedlichen Dehnverhaltens der Materialien offen. Wählt man dann noch, weil das Geld knapp wird, kleine Formate und poliert man, zu allem Überfluß, den Stein, dann wirkt die Fassade gefliest. Die Häuser sind gekachelt. Selbst wenn der teuerste Stein zur Anwendung kommt, wenn der kostbarste Granit genommen wird, sieht es aus, als wären Fliesenleger dagewesen. Die hinterlüftete Natursteinfassade mit den offenen Fugen ist nicht nur die bauphysikalisch problemloseste, sondern auch die billigste, nicht zuletzt deshalb, weil man mit diesen Fugen problemlos auf die Rohbautoleranzen reagieren kann. Es fällt nur dem geschulten Auge auf, wenn die Fuge an einer Stelle drei Millimeter breit ist und drei Schritte weiter acht Millimeter. Damit ist eine unpräzise Arbeit vorprogrammiert, oft sogar abgesichert durch entsprechende Ausführungsvorschriften und Normen. Damit läßt sich natürlich keine Natursteinfassade verwirklichen, die auch nur annähernd an das Erscheinungsbild der Häuser der zwanziger und dreißiger Jahre, ja selbst der oft so herablassend behandelten fünfziger Jahre herankommt. Unsere Häuser wirken kostümiert, wo jene solide in Erscheinung treten.

Es ist uns aber ein Grundbedürfnis, in einem soliden Haus, in einer dauerhaft gebauten Stadt zu wohnen, das gibt uns Sicherheit, wir fühlen uns dann aufgehoben und zu Hause. Wer zieht schon freiwillig in eine Klapperkiste! Wenn Sie nun dem provisorischen Charakter der Steinfassade mit den offenen Fugen entgegenwirken wollen, hält der Markt die Silikonspritze bereit. Schreckt Sie aber dieses dauerplastische Material und bestehen Sie auf einer Mörtelfuge, dann wird es aufwendig und im Detail ungeheuer schwierig.

Was kritisieren Sie daran?

Mein Vorwurf ist: Wenn so ein Haus schon was hermachen soll – und einen anderen Grund gibt es nicht, eine kostbare Steinfassade zu wählen – dann kann man das nicht auf die billigste Art tun, die den Aufwand sofort wieder zunichte macht. Das ist so, als wenn ich mir einen Smoking kaufe und dann rosa Blümchensocken dazu anziehe. Der Skandal aber ist, daß es keiner merkt, daß es bei den Banken, bei den Versicherungen kaum jemanden gibt, der sagt: Leute, das tut man nicht, das ist unanständig, das ist uns peinlich.

Wenn Sie die von Ihnen gezeigten Beispiele für umgerüstete Altbauten vor und nach der Verfliesung einem breiteren Publikum vorgestellt hätten, dann hätte wahrscheinlich die Mehrheit gesagt, der Klotz vorher war häßlich, und dieses geflieste Ding sieht wenigstens nach etwas aus. Ich denke, es entspricht einer Mode, und es gefällt.

Da haben Sie vollkommen recht. Das Gefällige, das oberflächlich Gefällige hat Hochkonjunktur. Nun können wir darüber philosophieren, warum das so ist. Ich habe da meine ganz eigene Auffassung. Wenn die Leute nichts anderes im Kopf haben, als in Teneriffa herumzuspazieren, dann kann es passieren, daß sie gar nicht merken, daß es zu Hause trostlos aussieht. Oder sie gehen sogar so häufig nach Teneriffa, weil es zu Hause so trostlos aussieht. Darüber kann man spekulieren. Man hat eben nicht nur in den Entscheidungsgremien den Blick für Qualität verloren, sondern auf ganz breiter Basis.

Natürlich verstehe ich, wenn mir ein Bauherr sagt, daß das Geld, das ich für eine Fassade ausgeben will, um die Silikonfuge zu vermeiden, im Preis-Leistungs-Verhältnis nicht stimmt, weil nur ein verschwindend geringer Teil des Publikums dies zu schätzen weiß. Das kann ich verstehen. Aber was heißt das denn letztlich? Das heißt doch nur, daß wir in absehbarer Zeit nur noch mit Kunststoff-Fenstern arbeiten und nur noch Ersatzmaterialien verwenden und nur noch beschichtete Baustoffe verarbeiten, wo Sie sich die RAL-Farben aussuchen können. Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der es keinen Stein mehr gibt, keinen Ton, keinen Stahl, kein Aluminium; es verschwindet alles unter dieser einheitlichen Beschichtung, und damit geht für mich ein Defizit einher an Sensibilität, an taktilem und visuellem Wahrnehmungsvermögen und eine Verarmung, eine sinnliche Verarmung, die den beklagten Prozeß natürlich noch beschleunigen wird und die ich deshalb für katastrophal halte.

Wo liegt Ihrer Ansicht nach die Ursache für diese Verarmung?

Wir kehren erst langsam wieder zurück zu einer städtischen, das heißt verfeinerten, kultivierten Architektur. Die zwanziger Jahre waren in gewisser Weise eine Flucht auf die grüne Wiese, raus aus der Stadt. Die Stadt hat man hinter sich gelassen, die Probleme der Stadt hat man als unlösbar betrachtet und gesagt, wir versuchen es draußen, wo es keine Zwänge gibt.

Sie teilen also nicht die Architekturhaltung der zwanziger Jahre?

Wir haben heute eine andere Zeit. Diese Versuche waren durchaus nützlich. Es kann einen ja niemand daran hindern, festzustellen, ich komme hier in der Stadt nicht klar, und ich versuche es dort, wo ich bessere Voraussetzungen für mein Ziel habe. Nur wenn daraus ein Trend wird, der dazu führt, daß die Stadt ausgetrocknet wird, daß die städtische Kultur langsam trockengelegt wird, dann halte ich das für problematisch. Wir stellen heute fest, daß die Stadt unsere Zukunft ist, und wir müssen die Probleme hier lösen, wir können sie nicht auf der grünen Wiese lösen.

Wo ist der Zusammenhang zu dem Verlust an Qualität?

Der liegt im Unterschied zwischen städtischem Bauen und Bauen auf der grünen Wiese. Was draußen möglich ist mit Stahl und Glas und Blech, der Shoppingcenter-Architektur am Autobahnzubringer, was dort sozusagen ohne Kontext wächst und wuchert, ist ein Environment, das ausschließlich auf den Konsum und das Auto zugeschnitten ist, auf die Geschwindigkeit des Autos. Wenn ich mit diesem Instrumentarium an städtisches Bauen herangehe, dann muß ich scheitern. Genau das ist passiert.

War das der Hintergrund Ihrer Feststellung, daß „wir uns Mut zureden wollen“, wenn es um das steinerne Haus geht?

Richtig.

Ich entnehme dem, was Sie sagen, eine starke Skepsis gegenüber der Stahl-Glas-Konstruktion.

Das ist richtig, schon im ausgehenden 19. Jahrhundert hat Gottfried Semper festgestellt, daß es dem Stahl für die Architektur an Masse fehlt. Und ich möchte hinzufügen, daß eine städtische Architektur Masse braucht. Wenn ich sage steinern, dann meine ich eine monolithische Erscheinungsform des Hauses. In der Stadt ist das Bauen mit Stahl und Glas zum Scheitern verurteilt. Das Haus kann noch so gut sein, es wird nur als Ausnahme, bestenfalls als exotischer Farbtupfer bestehen können. Stellen Sie sich einmal vor, Sie müßten aus solchen Häusern eine Straße machen oder einen Platz. Was in der Lücke funktioniert, funktioniert nicht, wenn daraus ein städtischer Raum werden soll, ein öffentlicher Raum. Ich kenne kein positives Beispiel.

Ist das nicht auch eine Folge der ökonomischen Zwänge? Den alten Mauerwerksbau, ganz abgesehen vom fehlenden Handwerkskönnen, kann den noch jemand bezahlen?

Ich glaube, das Bauen mit Stahl und Glas – wenn Sie umfassend kalkulieren, den Unterhalt und ökologische Gesichtspunkte berücksichtigen, ist nicht billig. Wir kommen ja immer stärker zu den traditionellen Baumethoden zurück. Es gibt Leute, die denken über Lehmbau nach. Zu denen gehöre ich nicht, aber wir denken schon über eine monolithische Wand nach, die gewisse Vorteile hat hinsichtlich der Speicherkapazitäten. Eine gemauerte Wand – das sehen Sie an alten Häusern – die funktioniert im Sommer wunderbar, und sie funktioniert im Winter.

Sie sind in der Berliner Szene ein wenig als der „Hochhauspapst“ verschrieen. Insofern überrascht einen die Kritik an der Stahl-Glas-Konstruktion aus Ihrem Mund.

Das mag sein. Das hängt damit zusammen, daß die meisten Leute mit dem Begriff Hochhaus Stahl- Glas-Architektur verbinden. Leider, denn die Beispiele, die ich zitieren würde, sind Stein-Hochhäuser. Das sind die Bauten von Sullivan in Chicago oder das Rockefeller-Center in New York. Das sind steinern in Erscheinung tretende Hochhäuser, auch wenn sich darunter in der Regel eine Stahlkonstruktion verbirgt. In der Berliner Hochhaus-Diskussion habe ich immer betont, daß nicht so sehr die Höhe entscheidet über die Qualität, sondern wie das Haus unten ankommt. Entscheidend ist, wie das Haus am Bürgersteig landet, dort, wo es mit dem Passanten, mit dem Nutzer, mit dem Besucher konfrontiert wird. Dort wird es begreifbar im wörtlichen, taktilen Sinn.

Kommen wir zum Publikumsgeschmack. Sind die modernen Architekten nicht mit schuld an der Hinwendung zum Gefälligen, weil sie das Publikum jahrzehntelang bis zum Überdruß mit den funktionalen Kisten gequält haben? Auch die schlechteste stuckgeschmückte oder verflieste Fassade erscheint den Leuten heute schöner, weil sie genug haben von den modernen Zigarrenkisten.

Da gebe ich Ihnen recht. Die Frage ist: Wie kann man mit dieser Erkenntnis zukunftsweisend umgehen? Was ich nicht akzeptieren kann, ist, daß der Architekt zum Dekorationskünstler degeneriert. Ich glaube auch nicht, daß ein Bauherr, der etwas auf sich hält, damit zufrieden sein kann, wenn sein Haus einfach dekoriert wird. Und ich kann mir vor allem nicht vorstellen, daß man aus diesem Stoff Städte bauen kann.

Das Interview

führte Armin Hentschel

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