: Multi, Uni, Poly, Pluri
Das Palais der Schönen Künste in Brüssel, re- und dekonstruiert in einer Installation Fareed Armalys: Eine kulturgeschichtliche Erkundung über das Phantom des Gemeinschaftlichen ■ Von Jochen Becker
Brüssel ist die zwiegespaltene Hauptstadt eines auseinanderbrechenden Landes, in dem Holland- nahe Flamen und Frankreich- orientierte Wallonen jeweils nach größerer Autonomie streben. Der Kampf um das Recht auf nationale Selbstbestimmung mit seinen einhergehenden Egoismen droht den Staat Belgien zu sprengen. Hier liegt auch der Regierungssitz einer „Europäischen Gemeinschaft“, deren Staatenbund vergleichbar auseinanderdriftet. Brüssel ist Brennpunkt zweier sich widerstreitender und für die Zukunft symptomatischer Parallelentwicklungen, nämlich der Gleichzeitigkeit von regionaler Zersplitterung und einer juristischen Konstituierung der Vereinigten Staaten von Europa. Hiermit untrennbar verknüpft sind nationalistisch-rassistische Bewegungen wie der „Vlaams Blok“ oder die weltpolitische Plazierung des europäischen Binnenmarktes als Machtinstrument für Handels-, aber auch militärische Kriege.
Brüssels zentral gelegener „Palast der Schönen Künste“ spiegelt dieses Zerwürfnis zwischen Regionalismus und Weltgeltung, zwischen Egoismen und Utopie wider. Das 1928 von Victor Horta gebaute Kulturzentrum für Ausstellungen und Filmkunst, Konzerte und Vorträge trägt nicht nur einen flämisch-wallonischen Doppelnamen, sondern hat nach den Regionen getrennte Ausstellungsetats und Publikumsströme. So verkehren bei Eröffnungen von frankophilen Künstlern keine Flamen und umgekehrt. Dieses Zerwürfnis führt dazu, daß die Vernissage des in Köln lebenden US-amerikanischen Künstlers Fareed Armaly von beiden Brüsseler Publikumskreisen fast vollständig ignoriert wurde.
„BREA-KD-OWN“ siedelt an verschiedenen, sich durch die Baugeschichte des Palais ziehenden Bruchlinien an. Zentraler Ort des ineinandergeschichteten Palasts ist die „Hall d'Animation“, vormals „Hall des Sculptures“, die zwischen Eingang und Treppenaufgang liegt. Anfangs für plastische Monumente mit Oberlicht und statisch verstärktem Boden konzipiert, wurde sie schon bald als Autosalon oder für Cocktail-Parties umgenutzt.
Bezeichnend für Hortas Distanz zu den Nutzern und dem Außenraum ist der Widerspruch zwischen Tageslicht für die Plastiken und fehlendem Ausblick auf die urbane Umgebung. Die Protestbewegung um '68 eroberte sich den zunehmend funktionslosen Ort als Versammlungsraum und erstritt in Folge eine neue Nutzung. Aus der Skulpturenhalle wurde 1972 durch Einbau temporärer Rohrgerüste, flexibler Wände und variabler Bodenwürfel eine multifunktionale Spielwiese. Dank Beleuchterbrücken und schalldicht abgetrennter Studiokabinen unter der Decke konnte die Halle gleichermaßen als Präsentationsfläche, Theaterraum, Fernsehstudio oder für zirzensische Feste und Malaktionen genutzt werden.
Fareed Armaly untersucht die Halle als Modellfall für den Strukturwandel von Öffentlichkeit, der sich hier im Wechselspiel von Architektur und Umnutzung abzeichnet. Während der Protest um '68 im Offenen und vor den Betrieben ausgefochten wurde, findet kaum vier Jahre später das Öffentliche – bei freiem Eintritt – im Saale statt. Die gemeinsame Sache soll audiovisuell vermittelt statt auf der Straße vertreten werden; aus Agitation wird Animation.
Mit Nachlassen des reformfreudigen Idealismus der selbstverwalteten „Action Culturelle“ verebbt das finanziell mager unterstützte Hallenprogramm: keine Kultur mehr für alle, die den Weg in den Palast der Künste oder vor das öffentlich ausgestrahlte Spartenprogramm „Kultur“ fanden. Die Einheit von Besuchern und Künsten unter einem gemeinsamen Dach, welche die Architektur von Lucien Jacques Baucher suggeriert, ist eingebrochen; erneut fristet die Halle ein Dasein als weitgehend nutzloser Durchgang zwischen Buchhandlung, Caféteria, Ausgang und Treppe.
Die Gestalt des verschraubten Metallgerüsts, welches als Garant des Temporären immer wieder neu den sich überschlagenden Ereignissen angepaßt werden sollte, besteht aus Kostengründen noch 21 Jahre später. Den abgestuft sandfarbenen Teppichbelag der Bodenwürfel hatten Konter-Reformer zwischenzeitlich durch ein pflegeleicht schmuddeliges Grau ersetzt und löschten die Erinnerung ans Vergangene, wie schon '72 die alte Horta-Halle durch dunkelbraune Abtönfarben ausgeblendet wurde. Indem nun Fareed Armaly einige alte, sandfarbene Würfel wieder aus der Versenkung holt – die Brandflecken auf dem hellen Teppichboden zeugen von einem lässigen Umgang mit Kultur (sogar Picknicks waren in der überdachten Landschaft aus zerklüftet arrangierten Würfelmodulen damals nichts Ungewöhnliches) – legt er einen kulturhistorischen Rahmen auf den Nicht-Ort.
Der auf dem Würfelfeld präsentierte, dokumentarisch angelegte Videofilm lenkt den Blick auf die Gerüstkonstruktion. Rundum angebrachte Schautafeln und ausliegende Zeitungsartikel verweisen auf den baulichen Wandel vor über zwanzig Jahren. Die der scheinbar schwerelosen Weltraumtechnik des modularen Bauens inneliegende Dynamik – Spacelabs, Weltausstellungspavillons, das Centre Pompidou oder die Münchner Olympiadächer atmen den gleichen Geist – wurde zugunsten des klassischen Treppenaufgangs aufgegeben. Die „Periode des Multi-, Uni-, Poly-, Pluri-“, so ein Urbanist im Kataloginterview, ist längst aufgebraucht. Das in gewissen Spielregeln zugelassene Chaos fügt sich nun erneut der Symmetrie des Horta-Baus.
Fareed Armaly verändert die Halle nicht; sein Eingriff ist der des distanzierten Kommentars. Während die mehrfach gewandelte „Grand Halle“ unangetastet bleibt, derangiert er die von Dirk Snauwaert kuratierten „Antichambres“ entlang einer strengen Achsensymmetrie. Vor einen Saal läßt er eine Wand ziehen, wobei ein Türspion jeden verzerrten Blick auf die Leere dahinter freigibt, während man in den gegenüberliegenden Saal nur durch zwei Scharten hindurchblicken kann. Dort werfen zwei asynchron laufende Diaprojektoren die beiden Hälften eines Rorschachtests auf die Wand, die von Kinderhänden wechselnder Hautfarben gehalten werden. An der Seite liegen Schautafeln aus, auf denen Balkenstatistiken Aufschluß geben über den Anteil der Nicht-EG-Bevölkerung in den jeweiligen EG-Staaten.
Oftmals sind es formal-ästhetische Bindeglieder (Rorschachtest und Statistik wurden beide aquarelliert) oder Assoziationsketten (Öffentlichkeit wandelt sich zum Testpublikum der Marktforschung, welche nur noch als statistischer Durchschnitt und Einschaltquote existiert; die Multi- Kulti-Projektion der hellen und dunklen Hände spielen auf die „United Colors of Benetton“ an, die globale Versöhnung versprechen, wodurch Fareed Armaly verschiedenartige Momente zusammenzwingt. Hieran demonstriert und behauptet er die Schizophrenie einer nationalen Identität, welche de facto von Migrationszügen und ethnischen Konflikten durchzogen ist. Ein Hinweis auf die soziale Prägung der geschlechtlichen Identität soll die Vertauschung der Bezeichnung von Herren- und Damentoilette geben, welche auf dem Gang liegt: Irritiert sucht man nach dem Pissoir.
Die Stärke der rechercheintensiven Arbeit von Fareed Armaly, die sich vor allem zwischen Katalog und dem bestehenden Bau abspielt, liegt in der Rekonstruktion einer Phase, wo klassische und mediale Öffentlichkeit noch miteinander im Wettstreit lagen. Schon 1968 stellte der damalige belgische Ministerpräsident fest, daß „der Einheitsstaat tot“ sei. Zwei Jahre später wurden den Regionen größere Kompetenzen zugesprochen, wobei ausgerechnet die Kulturpolitik eine Vorreiterstellung erhielt. Parallel hierzu sollte mit dem Umbau des Palais für die Schönen Künste eine neue Gemeinschaftlichkeit gestiftet werden. Doch schon bald erodieren, ähnlich wie in Italien, national definierte Solidargemeinschaften, wo die wohlhabende „Liga Nord“ den wirtschaftlich schwächeren Süden abstoßen möchte. Die EG-Verwaltung zieht weitere Bürokraten und Zugereiste nach Brüssel; das urbane Leben erstirbt nach Büroschluß und privatisiert sich in den Vororten.
Mayers Taschenlexikon kennzeichnet den Nervenzusammenbruch (nervous breakdown) als „gemein-sprachliche Bezeichnung für allgemeine nervale Erschöpfung; Versagensreaktion auf körperliche, seelische oder geistige Überanspruchung“. Der Katalogeinband zeigt denn auch den typographisch zerklüfteten Titel „BREA-KD-OWN auf einem Detailfoto des Gerüsts, das wie die Mikroskopaufnahme eines Nervenknotens wirkt.
Nationale, kulturelle oder geschlechtliche Identitätsspaltungen oder die Auflösung fester Werte werden dadurch mit dem Kollaps von Staaten, Personen oder sozialen Strukturen in einen kausalen Zusammenhang gebracht und zugleich negativ konnotiert. Außer acht gelassen werden hierbei jedoch die positiven Aspekte uneindeutiger und multipler Identitäten, wie sie etwa ein dekonstruktiver Feminismus produktiv einzusetzen weiß.
Fareed Armaly: BREA-KD- OWN, Installation im Palais de Beaux Arts Bruxelles/Paleis vor Schone Kunsten Brussel: Bis zum 12. September. Der materialreiche Katalog ist essentieller Bestandteil der Präsentation.
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