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„Die SPD ist in ihrer größten Krise“

■ Was bleibt von der Ampel (4)? Interview mit dem Fast-Kandidaten Rudolf Hickel

Seit zwei Jahren wird in Bremen eine ganz neues politisches Bündnis ausprobiert: SPD-Grüne und FDP bilden eine „Ampel-Koalition“. Hat dieses Dreierbündnis an der politischen Kultur in Bremen etwas geändert? Hat sich die SPD erneuern können?

Prof. Rudolf Hickel: Ich habe vor allem die Ewartung gehabt, daß Grün und Rot zusammenkommen. Daß Gelb hinzukam, die FDP als eine Partei, die für Wirtschaftsliberlismus steht, habe ich anfangs eher als Belastung empfunden. Dann fand ich es aber doch insgesamt spannend. Meine Erwartung war dann, daß es möglich ist, daß in der Art der Regierungspolitik die Widersprüche zum Ausdruck kommen: Ökonomie und Ökologie am Beispiel der Hemelinger Marsch. Oder bei der Verkehrsentlastung der Innenstadt. Die Politik ist keinen Millimeter weitergekommen, aber die widersprüchlichen Interessen sind für alle ganz deutlich geworden.

Viele sagen: Das Problem der Koalition ist die SPD.

Klar, die SPD ist zur Zeit ein Risikofaktr für die Ampel. Sie hat kein spezifisches sozialdemokratisches Profil einzubringen. Nach der Zuordnung nach dem einfachen Strickmuster stehen die Grünen für den er ökologische Umbau, die FDP für Wirtschaftsliberalismus und Privatisierung so weit wie möglich, und dann fragt man: Was ist eigentlich der Part der Sozialdemokratie? Klassisch nach ihrer Herkunft aus der Arbeiterbewegung wäre das: die Interessen der Einkommensschwachen vertreten und derjenigen, die ganz direkt von ihrem Arbeitsplatz abhängig sind. Aber die SPD befindet sich in einer Krise, sie ist in sich zu zerstritten, um zu so einem Profil finden zu können ...

... ist ja auch keine Arbeiterpartei mehr..

Ja, historisch ist die SPD in einer ihrer größten Krisen. Ich verfolge das Wirtschaftsprogramm genauer, das Scharping vertritt: Das ist eine gnadenlose Anpassung an der CDU-Kurs. Dasselbe zeigt sich auch in Bremen, nur ist in Bremen der Druck ein anderer: Die Sozialdemokratie verliert hier zusätzlich an Profil, weil sie die Sanierungspolitik durchsetzen muß. Da gibt es in der SPD heiße Auseinandersetzungen, an denen ich ein bißchen am Rande beteiligt bin: Die Gestaltung des Sanierungsprogramms war die letzte Chance der SPD, in einer objektiven Krisenlage irgendwo Prifil zu gewinnen.

Das scheint zu mißlingen.

Der Finanzsenator vertritt Kameralistik im unpolitischsten Sinne, aber die wirkt sehr politisch. Kameralistik heißt: Einsparen und Stärkung der Wirtschaftskraft. Da geht jedes Profil für die SPD verloren.

Das steht ja alles im Sanierungsprogramm. War das Sanierungsprogramm der letzte große Fehler der Bremer SPD?

Das würde ich so nicht sagen. Das Sanierungsprogramm hat Spiegelstriche, jetzt geht die Schlacht um die Spiegelstriche.

Also die Alternative: mehr Sozialhilfe oder mehr Unternehmens-Subventionen in der Hoffnung auf Arbeitsplätze.

Nein, beides. Das Wirtschaftspolitische Aktionsprogramm (WAP) will den ökologischen Umbau und Arbeitsplatz-Abbau verhindern. Das ist Industriepolitik im modernen Sinne. Diese Industriepolitik ist derzeit von der SPD nicht besetzt, bei dem Konflikt um Klöckner und um die Stadtwerke zeigt sich das. (siehe Kasten rechts)

Die „allerletzte Lösung“ mit dem Vulkan, die im Gespräch ist, würde zu einem bremischen Staatskapitalismus führen: außer Daimler wäre das wesentliche Industriepotential in der Hand eines Konzerns, für den der Staat auch noch bürgt.

Wenn andere Konzerne nicht reingehen in die Hütte, wäre sie sonst kaputt. Staatskapitalismus muß ja nicht schlecht sein. Die Stahlindustrie ist sowieso ein hochregulierter Markt. Bisher waren auch die Stadtwerke gesteuert über die Politik.

Traut der ehemalige Kandidat der SPD-„Erneuerer“ dem Wedemeier die Erneuerung zu?

Ich nenne das nicht Erneuerung. Ich nenne das: eine sozial und ökologisch orientierte fortschrittliche Politik. Im Zweifelsfall wären das doch nur Personen, die erneuert würden. Ich würde die Personaldebatte vertagen.

Hält Wedemeier die Unsicherheit und die Demontage noch zehn Monate aus?

Die Frage ist: Was ist an sozialdemokratischer Profilierung noch zu bewegen? Dann erst stellt sich die Frage, mit welcher Person. Es ist natürlich klar, daß Klaus Wedemeier die Kraft dazu nicht mehr zugetraut wird — ich habe Verständnis, wenn da Leute hochgradig skeptisch sind.

Was wollen den die Erneuerer in der SPD?

Über Inhalte ist in den Vorgesprächen mit mir ganz wenig geredet worden.

Gint es einen großen Erfolg der Ampel-Koalition?

In der Zeit der Ampel-Koalition ist ein historisches Ereignis für Bremen erreicht worden, der Sanierungs-Vertrag. Daran hat ernsthaft keiner geglaubt. Die Tragik liegt darin, daß die Ampel-Koalition das nicht öffentlich bewußt machen kann, nichts daraus macht. Da spielt sicherlich auch eine Rolle, daß der eine dem anderen den Erfolg nicht gönnt, SPD-intern ist das ganz widerwärtig. Wenn man überlegt, daß Kröning nach Bonn fährt und dieses Vertragswerk unterschreibt und Wedemeier weiß das nicht... Int.: K.W.

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