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Tanz um den Bauchnabel

Eserzade, einer der wenigen männlichen Bauchtänzer, setzt eine alte Tradition fort  ■ Von Petra Brändle und Mustafa Mete

Ein Gong ertönt aus weiter Ferne und zieht die erwartungsvollen Okzidentalen in den Bann des Orients. Der sehnsüchtige Klang der Bambusflöte, des Ney, schmeichelt sich ein. Plötzlich ein schwarzes Wirbeln. Tücher flattern. Eine graziöse, verschleierte Gestalt windet sich erotisch um die eigene Achse. Die Hüfte, das geschmeidige Zentrum der Bewegung, ist geschmückt mit fliegenden Perlenketten. Rote, grüne und blaue Steine funkeln, glitzernde Pailletten bilden Mond und Sterne auf dem Gewand, Strass blitzt im Scheinwerferlicht.

Ein Traum aus Tausendundeinernacht nimmt im Nirgendwo Gestalt an. Vor dem inneren Auge erscheinen seidene Teppiche, samtene Kissen, mit Perlen und Edelsteinen besetzte Atlas- und Brokatvorhänge – der geheimnisvolle intimste Raum des Orients, der Harem, wird lebendig... Zarte Finger, dekoriert mit üppigen Ringen, umwerben schlängelnd den eigenen Körper; lasziv schält sich der tanzende Körper aus dem wehenden Umhang. Der Schutz wird abgelegt, der Schleier gelüftet: ein Dreitagebart!

Es ist Eserzade, der „wehende Sultanssohn“. Im Rhythmus der Musik retardieren seine Bewegungen, langsam windet er sich am Boden, Trommelwirbel schleudern den Körper empor. Alle Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Hüfte. Wie Espenlaub zittert der Körper vom Bauchnabel abwärts. Einladend ausladende Hüftschwünge erotisieren die ZuschauerInnen, verheißungsvolle Blicke unter langen Wimpern bohren sich wie Pfeile in ihre Herzen. Doch der Bogen wird nur gespannt, die Verheißung nicht eingelöst; das Objekt der Begierde wendet sich ab, spielt ein neues Spiel mit einem, einer anderen.

Eserzade, 25 Jahre, ist ein türkischer Bauchtänzer, aufgewachsen in Berlin, ein Sohn zweier Welten. Sein Tanz wechselt zwischen leidenschaftlicher Zuwendung und abruptem Abwenden, ein Spiel der „versteckten Erotik“. „Ein Hauch von Erotik, nicht mehr. Das Versteckspiel des Orients ist das Faszinierende daran“, erklärt er. Sein Tanz ist weiblich und männlich zugleich: Weiche und anmutige Drehungen wechseln sich ab mit pulsierenden Kopulationsstößen. Zu seinen Accessoires gehören sowohl der Schleier als auch das Schwert.

In der abendländischen Vorstellung über den Orient jedoch gibt es eigentlich keinen Platz für Eserzade. Bauchtanz ist hier ein Inbegriff für Weiblichkeit. Schon vor Jahren hat eine Modewelle das Abendland erfaßt. Seitdem üben sich Frauen mit unterschiedlichstem Selbstverständnis im selbstbewußten Umgang mit dem erotisch-orientalischen Tanz um den Bauchnabel. Das entspricht ganz der Tradition des beschränkten Blickes, der westlichen Interpretation.

Mitte des letzten Jahrhunderts gewann der Orient für Europa eine immense Faszination; Kultur, Kleidung und Musik wurden aufgegriffen und für den westlichen Geschmack übersetzt und verfremdet. Die Schriftstellerin Colette übte sich 1908 als Haremsdame, Gustave Flaubert hatte ein Abenteuer mit der bekannten Tänzerin Kutchuk Hanem und schrieb über sie. Lord Byron und Pierre Loti verbrachten Jahre im vorderen Orient. Die Arabesque: eine Quelle der Inspiration – viel zu oft verfälscht und für europäisches Verständnis mundgerecht zubereitet. Kein Platz also für einen Bauchtänzer.

Dabei spielt der Mann im orientalischen Tanz traditionell eine wichtige Rolle. Mit der Islamisierung und dem langsamen Verschwinden der Frau aus dem öffentlichen Leben – etwa ab Ende des 7. Jahrhunderts nach Christus – schlüpfen zunehmend feminine Knaben in die Rolle der Tänzerinnen. Für islamisches Verständnis war und ist es tabu, daß Frauen ihre körperlichen Reize in der Öffentlichkeit präsentieren; im Harem tanzen sie privat. Allein Sinti- und Roma-Frauen, damals bereits Ausgestoßene der Gesellschaft, tanzten weiterhin bei Festivitäten, auf Märkten und in Karawansereien.

Stimulus für den Tanz der Männer im Orient aber waren auch ihre latenten homoerotischen Gefühle. Im Osmanischen Reich ab dem 14. Jh. beispielsweise war es üblich, daß während der berühmt-berüchtigten „Knabenlese“ die schönsten nicht in die exquisite Garde der Janitscharen integriert, sondern als Lustknaben auserkoren wurden. Im Kairo des frühen 19. Jahrhunderts schließlich wurden die wenigen verbliebenen Tänzerinnen (übrigens wichtige Steuerzahlerinnen) für Jahrzehnte aus der Stadt verbannt – es folgte die Blütezeit der Bauchtänzer, der Zangotsch und Kötschek (und eine Steuererhöhung).

Eserzade gehört also zu den wenigen Männern, die die Tradition der Zangotsch und Kötschek weiterführen. Schon immer interessierte er sich für den orientalischen Tanz; mit 17 Jahren hatte er seinen ersten Auftritt – zufällig, auf einer Geburtstagsparty, die nicht so recht in Schwung kommen wollte. Seitdem sucht der Autodidakt tänzerisch nach seinem „Seelenausdruck“ für die orientalischen Melodien. Der Bauchtanz, das inszenierte Körpergefühl, ist für ihn das Gegenstück zum okzidentalen Ballett, zur unbedingten Körperbeherrschung.

Sein Körpergefühl verbindet mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit tänzerische Figuren verschiedener Kulturen: Er integriert aserbaidschanische und persische, ägyptische und türkische Figuren, verwendet Flamenco-Elemente und beherrscht die Zeichensprache der indischen Handbewegungen. „Wenn die Menschen nicht in Frieden leben können, dann versuche ich wenigstens, ihre Kulturen friedlich miteinander zu vereinen“, lacht er. Er tanzt auch seine androgynen Gefühle – aber niemals „tuntig“. Vielleicht liegt darin der Grund, daß türkische Männer besonders enthusiastisch auf seinen Tanz reagieren: „Sie leben das ,Verbotene‘ in mir aus, das, was sie bei sich nicht zulassen.“

Sein größter Wunsch? „Menschen glücklich machen – und in der Türkei als Künstler, als Bauchtänzer, anerkannt zu werden.“

Nächste Auftritte: 4., 11. und 18.9., 21.30 Uhr im Mona Lisa, Maybachufer/Ecke Friedelstraße, Neukölln;

10. und 11.9. in der Mitternachtsshow des Chamäleon, Rosenthaler Straße 40/41, Mitte.

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