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Tollkühne Männer in fliehenden Kisten

Seit Wochen halten illegale Autorennen im Berliner Umland die Polizei in Atem / Am vergangenen Sonntag spielten in Bernau 700 Jugendliche und die Sicherheitskräfte miteinander Katz und Maus  ■ Mit dabei Uwe Rada

Zwei einheimische Kids mit Mountain-Bike weisen den Weg zur nächsten Oma. Die schaut Richtung Feldweg auf den Autokonvoi und erkennt die Lage sofort: Die illegalen Autorennen haben den Rand von Eberswalde erreicht. „An der nächsten Kreuzung müßt ihr rechts und dann den Feldweg lang.“ Mit einem Stöckchen zeichnet sie den Weg zum ausrangierten Armeeflughafen in den märkischen Dorfsand. Die Jungs danken‘s ihr. „Du bist cool, Oma“, schreit einer. Und Oma, sichtlich gerührt, grinst zurück.

Die Nachricht vom Erfolg der Scouts wird im Fahrerstall der Kolonne erleichtert aufgenommen. Zwar wurde die Polizei geschickt ausmanövriert, aber schließlich landete man doch über Stock und Stein in einer kopfsteingepflasterten Sackgasse. Statt mit Höchstgeschwindigkeit über die Piste zu jagen, hieß es auf engstem Raume wenden. Eine Übung, die den Möchtegern-Laudas sichtlich peinlich war. Nun freilich konnte, Oma sei Dank, alles seinen Lauf nehmen. Ingo* steht am Kasernentor des ausgemusterten Sowjetflughafens und winkt die etwa 200 Fahrzeuge durch die Einfahrt, vorbei an buntgetarnten Hangars und staunendem GUS-Wachschutz. Dahinter das Rollfeld – bereit für die qualmenden Pneus.

Opel Kadett gegen VW-Corado. Im Berliner Umland wird der Krieg zwischen den Autokonzernen derzeit auf der Rennpiste ausgetragen. Der Spaß mit dem Gas beschäftigt die Brandenburger Polizei schon seit Wochen. Mit sonntäglicher Regelmäßigkeit fliegen insbesondere in Mahlow und Ludwigsfelde Reifenfetzen, Flaschen und Steine. Die Jugendlichen im Berliner Umland schaffen sich ihren eigenen Underground. Und sie wissen, was sie tun. Statt um Jugendclubs oder Joint-Adventures geht es um die entscheidenden Zentimeter beim Zieleinlauf, um PS-Potenzen und den Geschwindigkeitsrausch.

Ingo ist Anfang zwanzig, trägt Vollbart und bunte Flatterhosen. „Autorennen heißt vor allem Spaß“, sagt der PS-Maniac. „Das Schönste ist, den Wagen endlich mal ausreizen zu können, ohne Stau, ohne Gegenverkehr.“ Auf einer Stichstrecke in Albertshof, fünf Kilometer von Bernau entfernt, wurde der Umland-Grand- Prix bereits zweimal ausgetragen. Zur Freude der Schaulustigen und zum Ärger der Polizei: „Wir kamen einfach zu spät und konnten im Grunde nur noch zuschauen“, bedauert Einsatzleiter Wolfgang Arlt aus Oranienburg.

Obwohl Arlt das Anliegen der „Jungs“ verstehen kann und den Konflikt nicht auf dem Rücken der Polizei ausgetragen wissen möchte, ist er an diesem Sonntag wild entschlossen, das Rennen von Anfang an zu unterbinden. Die Stichstraße in Albertshof wurde von Einsatzkräften weiträumig abgesperrt und überdies durch etwa 300 Kubikmeter aufgeschüttetes Erdreich rennuntauglich gemacht. Doch der einzige, der bei der Fahrzeugkontrolle am sonst verwaisten Waldweg zwischen Bernau und Albertshof ins Netz geht, ist ein älterer Bauer. Der kam lustig mit 2,8 Promille dahergeradelt.

Treffpunkt der motorisierten Möchtegern-Helden ist die ESSO- Tankstelle am Ortsausgang von Bernau. Hier gibt es alles, was ein Rennfahrerherz begehrt: Benzin, Mikrowelle und Bier. Hier hat die Nachricht vom bevorstehenden Polizeieinsatz bereits die Runde gemacht. „Eigentlich“, meint Martin*, „gibt's mit den Bullen wenig Probleme. Man kennt sich, redet miteinander.“ Daß die Polizei diesen Sonntag das Gelände abgesperrt hat, ist für ihn eine persönliche Niederlage: „Letztes Wochenende hab' ich mit den Bullen einvernehmlich ausgehandelt, daß wir nicht länger als bis um halb zehn fahren und alles hat geklappt.“ Martins Ärger ist umso größer, weil er mit den „Krawallmachern in Mahlow“ nichts zu tun haben möchte. „Uns geht es nicht um Zoff mit den Bullen, sondern um ein geordnetes, geiles Rennen.“ Den Vorschlag des ADAC, die Rennen künftig unter dessen Regie durchzuführen, lehnt er, anders als die Mahlower, nicht von vornherein ab. Ingo meint: „Wenn die uns das selbständig organisieren lassen und sich das Startgeld in Grenzen hält, warum nicht.“

Bereits eine Stunde vor dem vereinbarten Treffen war die „Erlebnistanke“ in Bernau rappelvoll. Trabi meets Golf, das Firmenauto einer Disco den Fahrschuljetta von nebenan. Kaum japanische Marken, dafür jede Menge „Jungs von der Opel-Gang“. Den Tankwart störts kaum, daß sich Otto-Normal-Tanker mit Engelsgeduld seinen Weg durch die Fahrerboxen bahnen muß. Er ist, wie kann es anders sein, ein Symphatisant. Plötzlich ein Schlag, kurz darauf lautes Gröhlen: Ein allzu forscher Rennfahrer wollte seinen Schlitten elegant am Straßengraben parken. Das fachmännische Urteil der Umstehenden: „Aufgesetzt.“

Holger* und Franz* sind zum ersten Mal hier. Den trostlosen Alltag an den Wochenenden haben sie satt. Bernau, Strausberg oder Eberswalde, die Kleinstädte um Berlin, sind „so spannend“, sagt Holger, „wie 'ne Kneipe ohne Bier“. Das dominante Outfit beim Wahnsinn auf vier Rädern sind Jogginghosen und Trainingsjacken. Was zählt, ist nicht rechts oder links, sondern geradeaus und das möglichst schnell. Konsum ist wichtiger als Politik und ein Mittelklassewagen ist das Größte. Was hier aufs Gaspedal drückt, ist keine No-Future-Generation, sondern ein Gemisch aus deutschem Biedermann und motorbewegtem Anarchisten mit geradezu autonomenverdächtiger Logistik.

Ein CB-Funker meldet: Die Luft ist rein. Ingo und Paul* checken den Treff an der Tanke schnell noch nach Zivilpolizisten ab. Erst jetzt gibt Martin den Ausweichort für das Rennen bekannt: Eberswalde via Autobahn, Abfahrt Finowfurt. Kurz darauf verlassen etwa 30 Fahrzeuge die Tankstelle in Richtung Autobahn. Binnen Minuten ist der Konvoi auf zweihundert Fahrzeuge angewachsen. Und der will erst mal geschlossen auf die Autobahn kommen. Für einen entschlossenen Renngenossen auch das kein Problem: Kurzerhand stellt er seinen Wagen quer und sperrt den Verkehr auf der Richtungsfahrbahn nach Prenzlau. Freie Fahrt für freie Bürger. Ist die alte Straßenverkehrsordnung erst mal außer Kraft, beginnt das neue Fahrgefühl: Rechts überholen oder auf der Standspur, ab durch die Mitte oder tänzelnd eingefädelt. Autoscooter auf der A9, das letzte Abenteuer in einer ansonsten reglementierten Zivilisation.

Düster ist die Landebahn, diesig und wolkenverhangen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Nur vereinzelt flackern am Horizont Scheinwerferpaare auf, nähern sich der jubelnden Menge im Powerslice. Die Piloten signalisieren mit dem Daumen Sieg oder Niederlage und fahren dann majestätisch durch die dichtgedrängten Zuschauer in die zweite Reihe. „Selbst wer verliert, kann noch mal antreten“, sagt der Starter und weist das nächste Rennpaar ein. Peinlich genau achtet er darauf, daß keiner dem andern die vielleicht entscheidende Spoilerlänge voraus ist. Ansonsten gibt es keine Regeln. Jeder kann gegen jeden fahren, Mann gegen Mann. Ein Rundkurs wäre auch dem Starter lieber, doch so muß er sich damit abfinden, daß der Zieleinlauf im Nebel verschwindet. Beim Start fühlen sich die Blechpiloten ohnehin am wohlsten. Mit Kupplung und Gas wird der Gegner noch einmal beeindruckt. Denn was ein echter Mann sein will, übt früh die passende Gebärde. Die „Jungs“ genießen sichtlich das Bad in der Menge. Schnell noch ein Küßchen in Richtung Freundin, der Starter reißt die Arme hoch und ab geht die Post. Zurück bleibt der Geruch verbrannten Gummis.

Zurück bleibt auch Einsatzleiter Arlt aus Oranienburg, der nach der Lagebesprechung am nächsten Tag voller Neid auf einen Kollegen von der Potsdamer Bereitschaftspolizei geblickt haben dürfte: Oliver Bresack, Polizeimeister ist der Held des Abends. Ihm gelang ein Husarenstück sondergleichen: Kaum hatte sich die neblige Dämmerung gespenstisch über die Piste gelegt, tauchte am andern Ende der Rollbahn Blaulicht auf. „Die Bullen!“ Panisch tobt die Menge auseinander, in die Autos hinein und macht sich in wilder Flucht auf die Suche nach der nächsten Ausfahrt. Tollkühne Männer in ihren fliehenden Kisten. Der wilde Osten endet wie im richtigen Western: Den letzten treffen die Knüppel. Mit einem beherzten Fußtritt auf den Kühler stoppen die Beamten die Nachhut und nehmen den Piloten die Fahrzeugschlüssel ab. Dann beruhigt sich plötzlich die Lage. Die verbliebenen Rennfahrer mußten feststellen, daß ein einziger Mannschaftswagen der Polizei es geschafft hatte, das Happening zu beenden. Auch die Beamten wurden sichtlich gelassener. Martin, dessen Polo eine Delle abbekommen hatte, bekam die Adresse des Tatverdächtigen, Ingo seine Schlüssel zurück und der Rest freien Abzug.

Zurück in Bernau feiert man den Sonntag dennoch als Erfolg. „Die Mahlower haben wir ausgestochen“, freut sich einer, „die haben es bisher nicht so geschafft, die Bullen auszutricksen.“ Auch Martin ist froh: „Zwar hätten wir die Bullen auf dem Flughafen auch verprügeln können“, brüstet er sich im nachhinein, „aber das hätte nichts gebracht.“ Die Menge stimmt ihm zu. Von denen, die hier stehen, ist natürlich keiner vor Polizeimeister Bresacks Truppe geflohen. Und doch, Bernau ist nicht Mahlow. „Gleich morgen“, verspricht Martin, „fahre ich nach Potsdam zum Polizeipräsidenten und verhandle mit dem ADAC.“ Unter den Fittichen des größten deutschen Autolobbyisten will man dann ostwärts rasen – ganz legal, mit Startgeld, Stoppuhr und ohne Bullenhatz. Und nur noch manchmal träumen künftig die Vereinsmeier von den mutigen Taten, als sie einmal Revoluzzer waren, sie und ihre Mantas.

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