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Die Öko-Nischen der Großstadt

■ Umweltbehörde erstellt Stadtbiotop-Kataster / Keine Verbindlichkeit bei Baumaßnahmen / Es gibt wieder Störche   Von Vera Stadie

Eine Bestandsaufnahme von Hamburgs wildlebenden Tier- und Pflanzenarten präsentierte gestern Umweltsenator Vahrenholt. Die umfassende Karte bewertet jede einzelne Fläche in Hamburg. Künftig muß der Bestand an wildlebenden Pflanzen und Tieren bei allen räumlichen Planungen berücksichtigt werden, wie die Senatskommission für Umweltpolitik und Stadtentwicklung jetzt beschlossen hat.

Damit würde die Sensibilität für die Belange des Arten- und Naturschutzes automatisch wachsen, hofft der Senator, da sich jeder Planer nun von vornherein damit beschäftigen muß, und nicht erst, wenn die Umweltbehörde oder Naturschutzverbände protestieren.

Gesetzlich bindend ist die Stadtbiotop-Bewertung jedoch nicht. Einen wirksamen Schutz der wildlebenden Natur kann erst ein Artenschutzprogramm gewährleisten. Dessen Verabschiedung ist allerdings an das Landschaftsprogramm gekoppelt, für das die Verantwortung seit 1991 bei der Stadtentwicklungsbehörde liegt. Deren Chefin Traute Müller erklärte gestern: „Wir werden das Landschaftsprogramm abgeglichen mit dem Flächennutzungsplan im Frühjahr 1994 vorstellen“.

Vorerst liegt eine Bestandsaufnahme vor mit einigen erfeulichen Neuigkeiten aus Hamburgs Tier- und Pflanzenwelt: Über der Fischbeker Heide, die gerade in voller Blüte steht, trällern wieder Heidelerchen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten kreist regelmäßig ein Seeadler über dem Duvenstedter Brook. Aus dem Naturschutzamt verlautet, daß er auf eine Braut wartet. Auch eine Graureiherkolonie und Graugänse haben sich dort angesiedelt. In den Vier- und Marschlanden klapperten in diesem Jahr 13 Storchenpaare und brüteten 28 Junge aus. Seitdem viele Wiesen nicht mehr gedüngt und gespritzt werden, finden die Vögel wieder reichlich Futter. „Die Storchenbabys verhungern in Hamburg nicht mehr im Horst“, preist Vahrenholt den Erfolg des landwirtschaftlichen Extensivierungsprogramms.

Während sich in den Flächenstaaten die Landwirtschaft immer mehr zum Hauptfeind der Natur entwickelt hat und die Artenvielfalt zurückgegangen ist, bietet die Großstadt ökologische Nischen. Von einer Trendwende spricht Dietmar Glitz vom Naturschutzamt. Selbst Reihenhausgebiete seien in Hamburg interessant als Lebensraum für Wildpflanze und -tier.

Dennoch steht es um Hamburgs Naturnischen nicht überall zum Besten. „Einige Naturschutzgebiete befinden sich in völlig desolatem Zustand“, kritisiert Uwe Westphal vom Naturschutzbund. Mountainbiker zerfräsen die Boberger Niederung, viele Hundebesitzer lassen ihre Vierbeiner in den Schutzgebieten von der Leine – trotz aller Verbote, denn die kontrolliert niemand. Das soll anders werden. Vahrenholt will dazu künftig „Öko-Sheriffs“ einsetzen. Ehrenamtliche Naturschützer sollen nach dem Vorbild der amerikanischen Ranger die Umweltrowdies in den Schutzgebieten aufspüren – bewaffnet mit einer Kamera. Westphal ist da skeptisch. „Ohne Knarre möcht' ich nicht dazwischen“.

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