: Sozialbehörde: Wohnschiff ist zumutbar
■ Gestern abend lief die Frist für die Asylbewerber Peenemünder Straße ab / Ausländerfeindliche Anrufee
Gedrückt Stimmung herrschte gestern in der Asylbewerber-Unterkunft in der Peenemünder Straße in Lesum: Der Briefträger hatte mit „Postzustellungsurkunden“ für 83 von rund 400 BewohnerInnen die Aufforderung zum Umzug auf das Wohnschiff im Gröpelinger Kohlenhafen mitgebracht. Bis Mitternacht sollten sich die Männer beim Pförtner auf dem Schiff gemeldet haben. Ob der Hausherr der Unterkunft in der Peenemünder Straße, der Arbeiter-Samariter- Bund (ASB), von seinem Hausrecht um Mitternacht Gebrauch machen und die Polizei rufen würde, wollte der gestern nicht sagen. Das Anti-Rassismus-Büro hatte vorsorglich eine Wache organisiert.
In den freiwerdenden Räumen will die Behörde asylsuchende Familien unterbringen. Weiterer Grund für den Umzug: Wegen Müll in den Vorgärten und Lärmbelästigung habe es mit den AnwohnerInnen großen Ärger gegeben, so Andrea Frenzel-Heiduk, die Sprecherin des Sozialressorts.
Die angegeben Gründe für die Verweigerung des Umzugs der Flüchtlinge läßt die Sozialbehörde nicht gelten: Auf dem Schiff könne durchaus Besuch empfangen werden, allerdings nach Voranmeldung, mit Vorlage eines Ausweises und nicht über Nacht. Eine Kontrolle nach drei Tagen Abwesenheit sei durchaus gerechtfertigt, schließlich fehlten Unterkünfte für andere Flüchtlinge. Und im Falle eines Brandes müsse man doch wissen, wieviel Menschen zuletzt auf dem Schiff waren. Unbegründet sei die Befürchtung, daß die Bewohner bis 22 Uhr auf dem Schiff sein müssen: Sie können die ganze Nacht kommen, nur die Nachtruhe gelte, wie in jedem Mietshaus und Hotel, ab 22 Uhr. Und daß die Fenster nur einen Spalt breit zu öffnen seien, gehe auf die Kindersicherung zurück — die lasse sich aushängen.
Mit einer Einschränkung allerdings müßten die Flüchtlinge wohl leben: Auf dem Schiff gibt es Gemeinschaftsverpflegung. Mit der Folge, daß es vom Sozialamt bar nur noch ein Taschengeld von 153,30 Mark gibt. In der Peenemünder Straße konnten sich die Asylsuchenden ihr gewohntes Essen selbst kochen. Ein wesentlicher Einwand der Flüchtlinge bleibt auch die einsame Lage des Schiffes: Sie fürchten, daß es bevorzugtes Ziel von Anschlägen werden könnte.
Während die Behörde verhandelt, platzt offenbar einigen BürgerInnen der Kragen über die Umzugsverweigerung: Bei der Sozalbehörde ging in den letzten Tagen eine Unzahl von empörten Anrufen ein — von „Zurück ins Flugzeug und ab damit“ bis zu „Nach Auschwitz“. Tenor meist: „Schwimmende Hotel-Paläste für Kanaken — und dann wollen die da noch nicht mal rein.“ Hochgekocht ist der Zorn offenbar seit einem Buten&Binnen-Beitrag vom Freitag, in dem Flüchtlinge auf Matratzen sitzend und haschrauchend zu sehen waren.
Die Sprecherin der Sozialbehörde sieht sich in der Zwickmühle: „Es gibt tatsächlich Leute, die Schwarze Schafe sind; in dem Moment aber, wo man das zugibt, gibt man Ausländerfeinden noch mehr Argumente gegen alle Flüchtlinge“. Allerdings weiß die Innenbehörde nur von einem Dealer und einem Schwarzfahrer unter den 83 Flüchtlingen. Die Zahl von 10 bis 12 Dealern, die Senatorin Helga Trüpel am Wochenende in die Diskussion gebracht hatte, konnte die Sprecherin der Innenbehörde nicht bestätigen.
Gestern abend hat dann noch der Rechtsanwalt eines Asylsuchenden. Eberhard Schultz, Widerspruch gegen die Verlegung eingelegt. Begründung unter anderem: Die Umzugsaufforderung sei erst am Umzugstag selbst ausgeliefert worden. Außerdem habe es keine Anhörung der Einzelnen gegeben. Zudem, so er Anwalt, sei sein Mandant in den kurdischen Bergen aufgewachsen und habe noch nie den Fuß auf ein Schiff gesetzt. Zudem fragt er, wieso 83 Männer aufs Schiff müßten, obwohl nur einige Räume gebraucht würden.
Der Staatsrat Justiz, Michael Göbel, wendet ein, daß die wochenlangen Gespräche der Behörde mit den Männern durchaus auch als Anhörung zu werten seien. cis
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