piwik no script img

Ein halber Abschied von der Nische

Orientierungsversuche im Verfall – „Nachtspur“: Heinz Czechowskis Lyrik und Prosa von 1987 bis 1992  ■ Von Florian Bungart

Die Prosa der Verhältnisse läßt ihn dastehen wie einen „Nörgler, dem die Welt nicht gefiel“. Heute, im Jahre drei der Vereinigung, nicht weniger als zuvor. Der Dichter und Schriftsteller Heinz Czechowski hat die jüngst gewendeten Verhältnisse sehr genau beobachtet, nicht nur in Leipzig, wo er wohnt. „Nachtspur“ heißt das neueste Buch des Heine- und Heinrich-Mann-Preisträgers. Auf etwas mehr als 300 Seiten findet der Leser Gedichte und Prosastücke aus den Jahre 1987 bis 1992. Mehr der Gedichte wegen ist es ein lesenswerter Band geworden.

Ganz am Schluß beispielsweise steht etwas, das schön und traurig klingt wie manch anderes auch in diesem Buch, ein geheimnisvolles Wortgebilde: „Wüste Mark Kolmen“. „Trägheit des Herzens. Stimmungsverlust“ oder auch „Nichts Neues“. So oder ähnlich desillusioniert klingt manche Überschrift seiner Gedichte. Nicht immer, aber oft sind sie Nachhall einer miesen Gemütslage. Glaube, Liebe, Hoffnung scheinen passé, mehr denn je. Und was die „gestörte(n) Verhältnisse“ betrifft, wie er im Rückblick die Zeit vor dem Wendeherbst nennt, da verfällt er in ein bitteres Resümee: „Als die Wörter verboten waren, / zogen wir uns aus dem Verkehr“. Weiter heißt es: „Wir aber / schreiben und schrieben jetzt / Kann man es allmählich lesen: / Ein Überbau von Lügen“.

Jede Revolution frißt bekanntlich ihre Kinder. In einer Zeit, in der vieles ans Licht kommt, aber noch mehr im Dunkel bleibt, greift entsprechend eine bedrückte Hilflosigkeit um sich. „Die Leute lesen nicht mehr“, klagt er einmal, und: „Die Literatenclique, / Um ihre Besitztümer fürchtend, / Hat sich die besten / Posten gesichert. In L., / Der furchtbaren Heldenstadt, / habe ich schon fast keine Freunde mehr. / Die Gerechtigkeit / Ist eine Sau, / Die durch die Straßen gehetzt wird.“ – Und der Poet wendet sich ab vom neuen Wohlstandsmüll und fügt sich, wieder einmal, in den allgemeinen Verfall. Doch manchmal ächzt auch der Leser, wenn die Prosa der Verhältnisse allzuoft und mächtig anstinkt gegen die „Lyrik unserer Träume“.

Czechowski erinnert sich der Kindheit, die er, Jahrgang 1935, in Dresden zubrachte. Daß er damals im Angesicht des Bombardements einen „Amoklauf der Geschichte“ überlebt hat, war ihm wohl eine so unverständliche Schonung, daß er seither nur noch ungläubig registriert, was als Verheißung des Fortschritts, in welcher Gestalt auch immer, daherkommt. Mitgesungen hat er dennoch im Herbst des Jahres 1989 im Heldenchor des einen Volkes. Aber er hat nicht gefunden, was er gesucht hat. Noch weniger weiß er, was er mit der „dreimal verfluchte(n) DDR“ eigentlich verloren hat.

Das Leipziger Völkerschlachtdenkmal in Czechowskis Nachbarschaft jedenfalls zeigt sich ungerührt von solchen Nachdenklichkeiten, von all dem, was sich in seinem Schatten ereignet: Genau dort nistet sich Czechowski ein mit seinen Beobachtungen all dessen, was im Verschwinden begriffen ist. Übergangsphänomene einer „Reliktkultur“, wie er es nennt, deren Wahrnehmung ihm als ehemaligem Nischenbewohner mit Geborgenheitsbedürfnis ohnehin am Herzen liegt. Schade ist dabei nur die Drift ins bieder-feuilletonistische oder klischeehafte Lamento mitunter, vor allem in der Prosa seiner heimatkundlichen Erinnerungen und Spaziergänge. Zum Beispiel, wenn er vom „Unisono“ der „Vereinigungswerte“ spricht, das der jüngst gesprossenen Alternativkultur des Leipziger Stadtteils Connewitz den zeitgemäßen Garaus bereitet. Vergeblich scheint das Bemühen, so zu tun, als gehe ihn das alles im Grunde nichts mehr an: Exterritorialität als Wunschbild. Im Unterton liegt die Hermetik einer verstockten Weinerlichkeit. Er ist zu verletzlich, als daß jemand ihm den halbgaren Zynismus abnähme. Wo an anderer Stelle beispielsweise etwas über einen aussterbenden Haustyp, das Umgebindehaus, zu lesen ist, ist der Ton aufrichtiger, offener, weil die Ferne, das Jenseitige im Diesseits, Gewißheit ist. Solcherart „Nachtspuren“ also folgt er in seinen schönen Beschreibungen der Enklaven sorbischer Alltagskultur in der Lausitz oder in der Skizze über eine der letzten bewirtschafteten Windmühlen Deutschlands in Brehna. Unangepaßtes Geschichtsbewußtsein, so lesen wir, soll ja schon zu DDR-Zeiten die Note des Nostalgischen besessen haben. Czechowski meint damit wohl auch die Jahre, in denen er in einer ländlichen Kommune im Kreise „Gleichgesinnter“ (welch opportunistische Vokabel aus dem Munde eines Dichters) eine Art Zuflucht vor den Zudringlichkeiten von Schriftstellerverband und Partei suchte. Es gab ja diese habituellen Widerspenstigkeiten, die damals von jedem, der sie verstehen sollte, verstanden wurden. All das läuft heute ins Leere. Der Weg des Dichters durch die Wende führte von der Nische geradewegs ins Abseits, hielte ihn nicht noch der Zipfel des unvollendeten Abschieds.

Czechowski ist ein vorsichtiger und wankelmütiger Pessimist. Mit dem verbliebenen Rest seiner Hoffnungen hält er sich an das, was er sieht inmitten des Verfalls: die brachial ausgeweideten Tagebaulandschaften, die Industriebrachen in seiner sächsischen Heimat. Sie sind ihm: „Einziger Ort / Zum Aufbruch in die Vergangenheit: / Wüste Mark Kolmen.“

Revolutionen, Botschaften werden wohl niemals mehr sein Leben verändern. Es sind wankende Abbilder einer schwierigen, verunsicherten Suche nach einem dichterischen Ausdruck, die ihn faszinieren: Von Dresden etwa spricht er als „Konglomerat aus Zerstörung und Verfall, Tod und Überlebenswillen“. „Immer / ist etwas weitergegangen“, heißt es in einem Radiogedicht, „Es ist beruhigend, / Daß es weitergeht: mit uns, / Mit dem Staat, / Mit den Politikern“. Auch mit der Kunst wird es weitergehen, aber, so der ängstliche Einwand: „Fragen Sie nicht nach dem Wie!“ Warum? Nun, weil „eigentlich alles / schon einmal gesagt worden ist, / und mir nur das Abschreiben übrigbleibt inmitten des Winters“.

Heinz Czechowski: „Nachtspur. Gedichte und Prosa 1987–1992.“ Ammann-Verlag 1993, 318 Seiten, geb., 39,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen