Tribunal gegen die USA auf Hawaii
Die Ureinwohner des 50. amerikanischen Bundesstaates klagen die USA des Ethnozids und Genozids an / Keine Anerkennung als ethnische Gruppe / Einige wollen Unabhängigkeit ■ Von Stephan Dömpke
Berlin (taz) – Aus Anlaß der hundertjährigen US-amerikanischen Herrschaft in Hawaii begann am Wochenende in Honolulu ein „Internationales Tribunal des Hawaiischen Volkes“. Die Organisatoren, ein Zusammenschluß mehrerer Organisationen der hawaiischen Ureinwohner, werfen den USA physischen und kulturellen Völkermord vor. Die über zwanzig Seiten starke Anklageschrift reicht von der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Hawaiis und der Annexion der Inseln über Landraub und Kolonisierung bis zur Zerstörung der Umwelt. Wie die Anwältin Mililani Trask erklärte, ergibt sie „einen koordinierten Plan zur Zerstörung der wesentlichen Lebensgrundlagen des hawaiischen Volkes“.
Eine Jury internationaler Menschenrechtsexperten wird in dieser Woche auf den fünf wichtigsten Inseln Zeugenaussagen von Experten und Vertretern der lokalen Bevölkerung hören. Das Urteil, das auf Grundlage amerikanischen und internationalen Rechts gefällt wird, soll am kommenden Samstag verkündet werden. Es hat keinerlei Bindungskraft, soll aber nach den Worten des Arztes Dr. Kekune Blaisdell, Leiter des Vorbereitungskomitees, „die gegen die Hawaiianer verübten Verbrechen umfassend vor eine internationale Öffentlichkeit bringen“ und eine politische und moralische Grundlage für ihre Forderungen schaffen. Blaisdells Organisation strebt die völlige Unabhängigkeit Hawaiis von den USA an, andere Gruppen wollen sich aber mit einem den Indianern vergleichbaren Status zufriedengeben.
Hawaii unterhielt im vorigen Jahrhundert als Königreich diplomatische Beziehungen unter anderem mit Preußen, Österreich und den USA. 1893 stürzten US-amerikanische Zuckerbarone mit Hilfe der US-Marine die Königin Lili'uokalani und riefen die Republik aus. Fünf Jahre später wurde Hawaii von den USA annektiert und 1959 zum 50. Bundesstaat gemacht. Die Ureinwohner wurden völlig entrechtet. Im Gegensatz zu den indianischen Völkern Nordamerikas sind sie nicht einmal als ethnische Gruppe anerkannt und haben daher weder eine eigene Verwaltung noch eine Landbasis.
Die Ureinwohner stellen heute nur noch etwa 20 Prozent der 1,1 Millionen Einwohner Hawaiis. Neben ebenso vielen Weißen und Japanern leben auch Chinesen und Filipinos auf den Inseln. Die Vorfahren der Asiaten wurden als Plantagenarbeiter angeworben. Die Hawaiianer sind die in jeder Beziehung am meisten benachteiligte Bevölkerungsgruppe. Ihre Lage läßt sich als „nationale Depression“ beschreiben, die auf das Trauma der beinahe völligen Ausrottung und der Zerstörung ihrer Kultur und Lebensweise zurückgeht. Seit 100 Jahren haben sie keinen Einfluß mehr auf die Gestaltung ihres Lebens. Die Verballhornung ihrer Kultur durch den Hula- Tourismus stellt eine fortdauernde Entwürdigung dar, die tiefe Verbitterung hinterläßt und bereits zu vereinzelten Gewaltausbrüchen geführt hat.
Heute sind sie am stärksten von Zivilisationskrankheiten betroffen und weit überproportional unter Delinquenten und Sozialhilfeempfängern vertreten. Der ständig zunehmende Strom wohlhabender Rentner aus den USA und der ungebremste Neubau von Touristenhotels treiben die Land- und Wohnraumpreise in unerschwingliche Höhen.
US-Präsident Bill Clinton wurde eingeladen, vor der Jury sein Land gegen die Anschuldigungen zu verteidigen. Kopien der Anklage wurden auch an UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali, die Vorsitzende der UN-Arbeitsgruppe für Indigene Völker, Erika Daes, und den Gouverneur von Hawaii, John Waihe'e, gesandt. Clinton hatte kürzlich auf der Rückreise vom Tokioter G 7-Gipfel in Hawaii nur eine unverbindliche Erklärung abgegeben. Waihe'e versucht unterdessen, durch eine Regierungskommission, die die Frage der hawaiischen Souveränität prüfen soll, der Unabhängigkeitsbewegung die Spitze zu nehmen.
Hawaii ist für die USA von großer strategischer Bedeutung. Von hier aus wurden die Atomtests im Pazifik, der Korea- und Vietnamkrieg vorbereitet und 40.000 Soldaten in den Golfkrieg entsandt. Auf den Inseln gibt es über 100 Militärbasen, unter anderem für das SDI-Programm. Mit dem Ende des Kalten Krieges wird jedoch die Bedeutung des Pazifiks neu definiert, was den Bestrebungen der Hawaiianer mehr politischen Spielraum gibt. Seit zwei Jahren räumen auch einflußreiche Kongreßabgeordnete wie der aus Hawaii stammende Senator Inouye offen ein, daß die Frage der Souveränität Hawaiis ungelöst ist.