: Auch eine Art Basiskultur
Ortsbesichtigung: Ein Rundgang durch die Attrappenwelt der Film- und Fernsehstudios in Babelsberg ■ Von Harald Fricke
Im Sommer wünscht sich jeder Städter ein bißchen Landluft, und nur Provinzjäger vertun ihre Zeit unnütz in der City. Während sich aufrechte Zugereiste in Berlin für die Wiederherstellung der verlorenen Mitte mit allerhand symbolischen Spielereien abmühen, sind die Potsdamer Lustschlösser ganz aus Stein gebaut. Der echte Kaiser bleibt in seiner Gruft, sein Double irrt nicht als pappkameradener Olympja-Entertainer durch die Stadt, sondern flaniert geisterhaft und zugleich majestätisch über das Gelände der Filmstudios von Babelsberg. Dort spiegeln die Kulissen sehr viel schöneren Schein, als es sich der zeigefreudige Polit- Adel am Marx-Engels-Platz historisch zusammenimaginiert hat. Nichts will mehr sein als Gegenstand der Einbildung, die dazugehörigen Geschichten kennen die meisten BesucherInnen aus dem Kino: der Golem, der kleine Muck, Metropolis oder Nosferatu. Nur zwei französische Touristenpärchen suchen ein wenig verwundert in Gullivers Garten nach Münchhausen, der ihnen aber zuletzt dann im Souvenirshop am Ausgang auf einer Kanonenkugel reitend vom Cover eines Kaufvideos zuwinkt.
Manche Pappwand der Ufa- und späteren DEFA-Studios in Babelsberg hat den 2. Weltkrieg, Mauerbau und sogar die Wende überlebt, für andere ist die Makulatur erst in den vergangenen drei Wochen angerührt worden. Zum zweijährigen Jubiläum präsentiert sich der bisherige Bereich „Film- & TV-Erlebnis“ als Konglomerat aus 80 Jahren Filmgeschichte vom ersten Stummfilm mit Asta Nielsen bis hin zum Steinzeit-Dschungel, der dem kommenden Saurierboom mit einer vielköpfigen Urhorde vorgreift. Ein Aerosaurier aus Fallschirmseide, der sich von einem Ventilator angetrieben monstermäßig bläht, flattert über dem Gelände wie ein Flaggschiff.
Doch das hochtechnisch science-fixierte Dino-Fieber trügt: Am Eingang wacht der kleine Muck über die Kontrolle der Eintrittskarten, und der Palast des Sultans ist den Original-Bauten der märchenhaften DEFA-Produktion von 1954 (Regie: Wolfgang Staudte) nachempfunden. Anders als etwa in den amerikanischen „Universal Studios Florida“ oder gar der Totalillusion von Disneyworld soll die „Babelsberg Studiotour“ den Blick hinter die Kulissen ermöglichen und weniger mit Spezialeffekten den Zauber der Leinwand wiederholen. Gemeinsam mit seinen Gardemaß-Statisten sitzt der Friedrich-Imitator unter einem Lord-Extra-Sonnenschirm und trinkt sein wohlverdientes Rex-Pils.
In Babelsberg wird der Schein wieder auf seine wirkliche Produktion zurückgeführt: Beim Säbelrasseln der Piraten von „Blackmall“ soll das Publikum die Kamera zur Hand nehmen können und selbst den Dreh bestimmen. Überhaupt erlaubt die Filmwelt vor allem die Realisierung der eigenen Phantasie. Kinder werfen mit Styropor- Felsen nach ihren Eltern, die sie dabei filmen. Auch eine Art Basiskultur.
Der neue Park ist keine historisch gewachsene Ansammlung von Ausstattungsreliquien, schließlich haben Filme sowieso keinen festen Raum. „Es wird immer eine Baustelle auf dem Gelände geben“, erklärt Antje Senf aus der Marketingabteilung die Idee, die hinter den Kulissen steht. Auf einem Gelände mit Panzern und Geschützen aus dem 1. Weltkrieg findet „die verlorene Schlacht“ statt. Sie soll auch darüber aufklären, daß der Film umstandslos sowohl als pazifistisches Statement und Kriegspropaganda genutzt wurde. Der Sturmhügel wurde künstlich aufgeschüttet, die Militärfahrzeuge nachträglich pyrotechnisch zerbombt. Das Ganze wirkt sympathisch chaotisch, zumindest hat man die meisten Gebrauchsmaterialien im natürlichen Verfall belassen und nicht zu nachträglichen Fetischen eines Kinoereignisses stilisiert, das hier monumental verdoppelt würde. Ein Müllberg mit verrostetem Klapprad und alter Nähmaschine sieht jedenfalls ziemlich interessant aus. Daneben wehen einem Mann mit Bart, der sich im Schminkstudio eine dicke Bandage ums Knie hat verpassen lassen, schwarze Fusseln ins Gesicht. Vor Schreck vergißt er für einen Augenblick das Humpeln und stolpert.
Im Tour-Cinema folgt dann eine ungefähr 30minütige Dokumentation über die Geschichte von Babelsberg, die so auch von der Treuhand hätte produziert werden können. Volker Schlöndorff erklärt vom Beifahrersitz eines offenen BMW-Coupé aus, wie die Sache historisch und in Zukunft laufen wird. Man sucht den Kontakt zum Wirtschaftsleben, indem man unter anderem das Gelände auch an Unternehmergruppen teilvermieten will, die dort als Monstren und Indianer verkleidet Geschäfte in einer etwas gelockerteren Atmosphäre abschließen wollen. Doch noch Disney?
Anders als in Hollywood produziert Babelsberg vom Drehbuch bis zum fertigen Film noch immer weitgehend autark, der Film bleibt in der Kino-Familie. Zwei Straßenzüge weiter befindet sich beispielsweise eine offizielle Ausbildungsstätte für Tischler, die für die Dekorationen von Bühne und Gelände zuständig sind. Ursprünglich zur Errichtung einer Fabrik für dekorative Kunstblumen angekauft, wurde das Filmgelände Anfang der zehner Jahre mit Schauspielerinnen wie Asta Nielsen, Greta Garbo oder später Marlene Dietrich und Lilian Harvey zum europäischen Widersacher der amerikanischen Industrie. Doch dann wechselten in der Nazizeit bald zwei Drittel der Stars in den fernen Westen. Trotzdem fanden sich noch immer genügend Filmleute zusammen, um bis wenige Wochen vor der Kapitulation unentwegt weiterzudrehen. Nach dem Krieg kurbelten vor allem die Franzosen den Produktionsfluß wieder an — mit Stars wie Simone Signoret oder Gérard Philipe, der im Ostteil Berlins noch immer mit einem nach ihm benannten Künstlerclub gewürdigt wird.
Der Rundgang führt durch eine Altberliner Attrappenwelt geradewegs in den Fundus. Dort wacht eine gewaltige Gruselspinne über den Eingang. Sie stammt aus „Olle Hexe“, einem der zahlreichen Kinderfilme, die neben problembewußten Teenagerstories — FDJ-liebt- NVA — und Notruf 110 die DEFA in den 70er Jahren auch weiterhin populär machten. Das abgegriffene Viech aus Dichtungsmasse, Pappe, Stahl und Holz sieht recht freundlich aus, lange nicht so kitschig auf Kindchen schematisiert wie der fliegende Schlappohr-Flokati aus der unendlichen Geschichte, die demnächst auf diesem Gelände ihre Fortsetzung findet. Die dazugehörige Hexe versucht im angrenzenden Hexenhaus, ein paar Knirpse mit einer Gummischlange behutsam zu gruseln. Wahrscheinlich wäre sie lieber Grundschullehrerin geworden.
Die Babelsberg-Studiotour hat täglich von 9–18 Uhr geöffnet, Eingang: Großbeerenstraße, S- Bhf. Griebnitzsee.
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