: Nicht immer nur Willie Dixon
Der Produzent John Snyder möchte den Blues modernisieren: mehr Politik, mehr Sozialkritik ■ Ein Interview von Jörg Feyer
John Snyder hat den Blues – im Studio (höhö!). Der heute in New York ansässige, 45jährige weiße Produzent aus Charlotte/North Carolina, der über 15 Jahre vorrangig Jazz-Künstler wie Ornette Coleman, Dizzy Gillespie, Dave Brubeck und James „Blood“ Ulmer für Label wie CTI, A&M/Horizon und sein eigenes Label Artist's House im Studio betreute, will dem Blues einen neuen Markt erobern. Im Programm: (vergleichsweise) junge Interpreten wie Joe Louis Walker oder der 29jährige „Blues-Mozart“ (O-Ton Firmeninfo) Lucky Peterson. Die Firma, für die Snyder produziert, gehört zu den Großen: Polygram Jazz/Verve. Neue Platten von Walker und Peterson sind bereits erschienen, im Oktober werden beide auf Kurztournee in Deutschland sein.
taz: Warum haben Sie sich in den letzten ein, zwei Jahren plötzlich so stark für Blues-Künstler interessiert?
John Snyder: Ich hörte einfach mehr Blues-Platten, wobei mir auffiel, daß der Blues heute dort unten ist, wo der Jazz vor 20 Jahren auch schon mal war, das heißt: Viele Künstler müssen in miesen Clubs für 150 Dollar am Abend auftreten, während Blues-beeinflußte Interpreten wie Bonnie Raitt oder ZZTop in den Pop-Charts landen. Hinzu kam, daß Independent- Labels wie Alligator und Malaco die Szene dominierten – Firmen also, die sich eher auf ihren Katalog verlassen, die zwar viel veröffentlichen, aber dem einzelnen Künstler nur selten die notwendige Aufmerksamkeit schenken. Also dachte ich mir: Wenn wir ein bißchen mehr Geld, Zeit und Intelligenz aufwenden, um Platten von höherer Qualität zu produzieren, die mehr Originalmaterial enthalten und den ganzen Blickwinkel ein wenig verändern, dann können wir vielleicht auch erfolgreich sein.
Woran läßt sich dieser veränderte Blickwinkel festmachen?
Wir wollen nicht auf ewig die alten Willie-Dixon-Songs recyceln. Natürlich nehmen wir auch mal einen Dixon-Song auf, aber ich möchte dem Blues wieder eine politische Dimension geben. Blues-Platten zielen in den USA normalerweise nicht auf ein schwarzes Publikum – und das möchte ich ändern, indem ich den Ansatz verbreitere. Und das geht meiner Ansicht nach nur, holt man den Blues aus dieser alten „My Baby Left Me“-Kategorie raus, aus diesem ewigen, einfachen Lamento, das bis zum Erbrechen wiedergekäut wird. Also versuche ich, einen jungen Künstler wie Lucky Peterson in eine politische Perspektive zu rücken.
Was wohl zur beliebten Frage führt: Kann der Blues wieder ein zeitgemäßer Ausdruck schwarzer Erfahrung werden? Geht Ihr Interesse in diese Richtung?
Wenn das das Ergebnis wäre, wäre das natürlich sehr schön. Aber es gibt keinen sicheren Pfad dorthin, keine Regeln, denen man dabei folgen könnte. Ich denke, die Songs müssen moderner werden und auch so klingen. Es geht nicht darum, Computer oder Samples einzusetzen – soweit gehe ich nicht. Ich will keine Pop-Platten machen, aber die Songs können und sollen die herkömmliche Blues-Form verlassen, interessanter und mehr sophisticated sein als das, was aus der Vergangenheit kommt. Ich will und kann dabei nicht mit Rap konkurrieren. Aber wir können vielleicht ein paar Veränderungen herbeiführen, ohne uns dabei von den Blues-Wurzeln zu distanzieren oder zu trennen. Denn wir können uns ja nicht so ohne weiteres von unserem Hauptmarkt lösen, weil das die Leute sind, die mit ihren Plattenkäufen unser Geschäft laufen lassen.
Sie erwähnten Rap. Viele junge Schwarze in den USA hören Blues zum ersten Mal als Sample, etwa bei Arrested Development? Will Ihre Marketing-Strategie auch diskreditierte Wurzeln schwarzer Kultur wieder nahebringen?
Nun, ich habe in erster Linie musikalische Ideen. Außerdem mögen es die Plattenfirmen nicht so gern, wenn Produzenten ihnen in ihre Vermarktung reinreden. Also mache ich die Platten – und lasse sie ihren Job machen. Ich habe den Leuten in der Firma natürlich erklärt, was es mit dieser politischen Perspektive auf sich hat. Aber was sie daraus machen werden, weiß ich nicht. Ich habe für mich allerdings eine selbständige Öffentlichkeitsarbeiterin angeheuert, und die Firma will spezielle Promo-Leute engagieren, um die Platten ins Radio zu bekommen. Ich ermuntere auch die Künstler selbst, mehr darüber zu reden. Das junge, schwarze Publikum in diesem Land hat genug Dinge, von denen es sich abgestoßen und entfremdet fühlen kann. Und darüber kann man nicht den Mantel des Schweigens breiten. Auf der nächsten Lucky-Peterson- Platte wird zum Beispiel der Stevie-Wonder-Song „You Haven't Done Nothing“ drauf sein, der sich direkt an die Politiker und Mächtigen wendet, die dieses Land regieren. Es ist ein harter, scharfzüngiger Song mit einem anklägerischen Tenor. Und ich denke, damit entsprechen wir den Gefühlen vieler Leute, gerade auch vieler Schwarzer, heute eher als mit einem standardisierten Blues-Trauergesang. Ein anderer Song auf der Platte wird „Compared To What“ sein, der alte Jazz-Hit von 1970, auch ein ziemlich grausamer Song, der damals auf der Höhe des Vietnamkriegs entstand, aus diesem Protest-Blickwinkel. Und so wie wir ihn jetzt aufgenommen haben, so hart – da möchte ich nicht die Person sein, auf die das gemünzt ist. Denn er sagt den Mächtigen direkt ins Gesicht, daß sie ganz schön miese Typen sind – und das sind sie ja auch.
Was wird die traditionelle Blues-Gemeinde dazu sagen? Wird sie sich schmollend und geschockt den Veteranen – und nur den Veteranen – zuwenden?
Eins ist klar: Man kann nicht mit jeder Platte jeden Blues-Fan zufriedenstellen. Also mache ich auch Platten mit Johnny Copeland, Clarence „Gatemouth“ Brown und Big Daddy Kinsey, die traditioneller sind. Mit diesen Platten wollen wir in erster Linie den alten Blues-Markt glücklich machen – der dann vielleicht auch Geschmack an unserem Versuch findet, die Grenzen etwas weiter zu ziehen.
Ich will ja nicht alles gleich in die Luft jagen. Ich bin kein Anarchist, sondern versuche nur, progressiv zu sein. Um ehrlich zu sein: Ich versuche ja nur, Platten zu machen, die sich genügend verkaufen, denn nur dann läßt mich die Firma noch ein paar mehr machen. Ich kenn das aus meiner Erfahrung mit anderen Firmen: Wenn du nicht gleich ein bißchen Geld für die Firma machst, wird die ganze Kiste sofort wieder gestoppt. Sie geben dir ein Jahr, im Höchstfall zwei – wenn dann der Rubel nicht rollt, versuchen sie etwas anderes. Wir müssen einfach ein paar Platten verkaufen, um unsere Ambitionen zu schützen.
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