Zwischen den Rillen
: Blues-Brüder, -Söhne, -Vettern...

■ Blues reimt sich immer noch auf Walking Shoes: Neues von Mayall, McCray & Co

Sobald mehrere Menschen das gleiche tun, kommen sofort andere daher und stellen eine Rangliste auf. Und dies keineswegs nur im Sport. Als beispielsweise 1985 der „größte noch lebende Marxist“ (KPD/ML), Enver Hoxha, das Zeitliche segnete, warf die taz umgehend zum einen die brennende Frage auf, wer wohl seine irdische Nachfolge antreten werde, zum andern, welchen Platz der verblichene Albaner wohl in der Rangliste der schon toten Marxisten einnehmen würde. Zumindest die erste Frage blieb mangels kompetenter Kandidaten unbeantwortet und hat sich ja inzwischen auch quasi von selbst erledigt.

Wenden wir uns also der viel spannenderen Frage zu, wer denn der größte lebende Bluesgitarrist der Welt ist. „Buddy Guy“, sagt Eric Clapton, was kein Wunder ist, schließlich hat er sein ganzes Leben lang versucht, den Stil des ewig strahlenden Saitenverhexers aus Chicago hinzukriegen. Buddy Guy würde wahrscheinlich Eric Clapton nennen, andere halten B.B. King für das Nonplusultra, manche seinen Namensvetter Albert, wieder andere favorisieren diesen oder jenen. Die Liste der Aspiranten ist lang und wird täglich länger.

„Wenn die Leute mich hören, sagen sie ,Wow‘“, berichtet Luther „Guitar Junior“ Johnson und verrät damit das ganze Geheimnis des Blues, der gerade sein ungefähr fünfzigstes Revival dieses Jahrhunderts erlebt. Van Morrison musiziert mit John Lee Hooker, John Mayall spielt in ausverkauften Sälen, bringt mit „Wake Up Call“ eine neue Platte heraus und klingt vor lauter Freude darüber, daß er wieder in ist, besser als je zuvor. Doch nicht nur Europas Blues-Epigonen wittern Morgenluft, auch in Chicago, Detroit, Houston oder Los Angeles, den traditionellen Zentren des urbanen Blues, tut sich was. „Guitar Junior“, der 53jährige ehemaliger Mitstreiter von Muddy Waters, ist einer derjenigen, die auf der Erfolgswelle ihrer angestammten Musikform wieder nach oben gespült werden und mit neuen Veröffentlichungen glänzen. „It's good to me“, heißt Luther Johnsons Werk und beginnt stilecht mit dem Stück „Feel so bad“. Ebenfalls aus Chicago kommt Byther Smith, ein ehemaliger Boxer, der den Blues folgerichtig am liebsten mit dem Boxen vergleicht. „Du brauchst den Killerinstinkt“, behauptet er, und wenn er mit seinem Grabesorgan „I was born in hell, yes, I'm the devil's son“ röhrt, können einem die armen Teufel, die einst mit ihm in den Ring mußten, nur leid tun. Beide pflegen den klassischen Gitarrenblues, wie er sich Anfang der fünfziger Jahre herausbildete, als ein schlauer Musiker auf die Idee kam, seine Gitarre an einen Verstärker anzuschließen.

Gleichzeitig machen sie deutlich, daß ein Bluesgitarrist nichts ist ohne die adäquate Stimme. Gary Moore hat sie nicht, Eric Clapton schon gar nicht, nicht einmal Van Morrison. Johnny Winter hat sie, Luther Johnson und Byther Smith haben sie, und natürlich Lowell Fulson, der 72jährige Veteran aus Tulsa, der einst das unsterbliche „Everyday I have the Blues“ komponierte und schon allein deshalb in der Rangliste der größten lebenden Bluesgitarristen vertreten ist. Auch er hat ein neues Opus herausgebracht, aufgenommen letztes Jahr in Los Angeles während der Riots: „Hold on“ heißt es, und genau das tut Lowell Fulson. Begleitet von Jimmy McCracklin am Piano und etlichen Bläsern, zeigt sich der alte Meister dabei durchaus innovationsfreudig. Er hält sich nicht starr an das Zwölftaktschema, nimmt Funk- und Rap- Elemente in seine Songs auf. Die Gitarre aber läßt er mit altehrwürdiger Gediegenheit und Kraft pulsieren, jaulen und flirren, der Gesang hat nichts von seiner kruden Vitalität eingebüßt. „They call me trouble, but my real name is danger zone“.

Doch nicht nur die erfahrenen Ringfüchse melden sich zurück, auch für Nachwuchs ist gesorgt. Sherman Robertson aus Breaux Bridge in Louisiana war einige Jahre der Gitarrist des „King of Zydeco“, Clifton Chenier, beschloß dann aber, seine Lehrzeit zu beenden und zu der Musik zurückzukehren, mit der er in Houston/Texas aufgewachsen ist, zum Blues. „I'm the Man“, postuliert der gewichtige Mann selbstbewußt, und wenn er mit rauher, klagender Stimme die Ballade „Make it rain“ singt, in „Home of the Blues“ das Ur-Schicksal des ewig umhergetriebenen Musikers beschwört – „Got no ticket, just my walking shoes“ – oder in „Our good thing is through“ ein ungemein dynamisches Gitarrensolo aus den Saiten zaubert, kann man den Aufruf der Zeitschrift Juke Blues nur unterstreichen: „Verpaßt ihn nicht auf seiner nächsten Tournee.“

Noch eine Spur kraftvoller der strahlendste neue Stern am Blues-Himmel: Larry McCray, der auf seinem neuen Album als „Delta Hurricane“ daherkommt, aber in Wahrheit keineswegs aus jenem „Home of the Blues“ um Memphis herum stammt, sondern aus Detroit. Die Songs knistern vor Energie, sein Gitarrenspiel ist erheblich rauher, erdiger und vielschichtiger als das von Sherman Robertson, seine Stimme verleiht Zeilen wie „There's a witchin' moon burnin' in the sky tonight“ die gebührende Eindringlichkeit.

Wie seine Kollegen hat Larry McCray wenig Überraschendes zu bieten. Sie spielen den Blues und nichts als den Blues, aber das perfekt und mit den Mitteln modernster Studiotechnik, die der Musik zwar ein wenig das Flair der Authentizität und Bodenständigkeit entzieht, ihr aber dafür eine bestechende Schärfe und Klarheit verleiht.

Wer wissen will, wie es wirklich klang im Chicago der sechziger Jahre, zu jener Zeit, als „Guitar Junior“ noch der kleine Lehrling des großen Muddy Waters war, sollte zum Sampler „Rare Chicago Blues, 1962–1968“ greifen, der zwanzig Titel von insgesamt dreizehn Musikern enthält. Schmuckstücke der Kollektion sind zwei Songs, die Otis Spann am Tag der Ermordung von Martin Luther King aufnahm, während draußen die ersten Gebäude in Flammen aufgingen, und zwei mitten auf der Maxwell Street aufgenommene Songs des früh verstorbenen Robert Nighthawk, der mithin trotz seines blutgefrierenden Slide-Guitar-Spiels für den Posten des besten lebenden Bluesgitarristen nicht mehr in Frage kommt. Aber wenn man die Sache genau betrachtet, ist es mit dem Blues ohnehin genauso wie mit dem Marxismus: zur Hölle mit der Rangliste. Hauptsache, die Post geht ab. Wow! Matti Lieske

Larry McCray: „Delta Hurricane“ (Virgin Rec., VPBCD 10)

Luther „Guitar Junior“ Johnson: „It's good to me“ (Bullseye Blues CD BB 95169

Lowell Fulson: „Hold on“ (Bullseye Blues CD BB 9525)

Byther Smith: „I'm A Mad Man“ (Bullseye Blues CD BB 9527)

Sherman Robertson: „I'm the Man“ (Indigo Records, IGO CD 2005)

Rare Chicago Blues, 1962-1968, Bullseye Blues, CD BB 9530

John Mayall: „Wake Up Call“ (Silvertone Rec., 01241 41518 2)