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Die Bevölkerung „systematisch vertreiben“

■ Sudans Militär verschärft Luftkrieg gegen die Guerilla an der Grenze zu Uganda

Berlin (taz) – Im vergangenen Frühjahr machte ein Horrorszenario über den Fortgang des sudanesischen Bürgerkrieges die Runde bei den Hilfsorganisationen: Die Regierungsarmee würde, nachdem sie bereits im vergangenen Jahr bedeutende Erfolge gegen die Rebellen der „Sudanesischen Volksbefreiungsarmee“ (SPLA) erzielt hatte, eine neue Offensive einleiten, in deren Verlauf sie die SPLA bis an die Grenze zu Uganda zurückwerfen würde. Zehntausende von Flüchtlingen würden sich dann auf den Weg in den Norden Ugandas machen und der dortigen Regierung von Präsident Museveni – der in diesem Landesteil nicht besonders beliebt ist – Kopfzerbrechen bereiten, was der Regierung des Sudan im Sinne nachbarschaftlicher Destabilisierung auch nur recht käme.

Das Horrorszenario wird Wirklichkeit. Um die 100.000 Sudanesen sind nach Angaben des UNO- Flüchtlingskommissariats UNHCR seit Beginn einer sudanesischen Regierungsoffensive am 25. Juli aus dem Südsudan geflohen. Nach Schätzung des deutschen Hilfswerkes „Afrika in Not“ bleibt mehreren hunderttausend Menschen im Kampfgebiet „wenig andere Wahl als die Flucht“. Mit Luftangriffen wolle die Regierung die Menschen „systematisch vertreiben“.

Die 75.000 Einwohner Kayas im Grenzdreieck Sudan–Uganda– Zaire, über das bisher große Teile der internationalen Hilfe für den Südsudan lief, verließen ihre Stadt Anfang August nach Bombenangriffen und flohen nach Uganda. Wie Michael Semler, Direktor von „Afrika in Not“, nach einer Reise durch das Konfliktgebiet jetzt der taz berichtet, haben sich die Luftangriffe diese Woche auch auf den etwa 200 Kilometer breiten Grenzstreifen, der von Kaya ostwärts in Richtung Nil führt, ausgedehnt. Die ersten Bewohner der 300.000- Einwohner-Stadt Kajo-Keji am Nil seien bereits auf der Flucht. Semler: „Die tieffliegenden MiGs identifizieren zivile Bevölkerungszentren, werfen ihre je zwei Bomben zwischen drei und fünf Kilometer entfernt ab und weisen dann die hochfliegende Antonov an, ebenfalls um die Bevölkerungszentren herum zu bombardieren. Ein solcher Terrorangriff wurde von mir selber am 5. August etwa acht Kilometer von Kaya entfernt beobachtet, ungefähr vier Stunden später strömten annähernd 2.000 Flüchtlinge über die Grenze nach Uganda.“

Dieses Vorgehen zielt weniger darauf, Menschen zu töten, als sie zu ängstigen und in die Flucht zu treiben – was dem Ziel der Regierung, das gesamte Grenzgebiet zu Uganda westlich des Nils unter Kontrolle zu bringen und damit den Nachschub der SPLA abzuschneiden, sehr dienlich ist. Beobachter meinen, die Regierung wende auf dem Boden eine vom Iran im iranisch-irakischen Krieg abgeguckte Taktik an: Die Straßen zu SPLA-gehaltenen Orten werden vermint, und Regierungstruppen bahnen sich dann eigene Angriffswege. Sie habe damit jedoch ebensowenig Erfolg wie am Golf der Iran; die Bodenoffensive in Richtung Grenze, berichtet Semler, kam 15 Kilometer vor Kaya zum Stillstand. Nun werde die Luftwaffe eingesetzt, um die Gebiete zu entvölkern und damit Druck auf Uganda auszuüben. Viele Bewohner Südsudans gehören zu denselben Stämmen wie ihre ugandischen Nachbarn; dazu könnte das sudanesische Militär Rebellen im Norden Ugandas stärken. Die Kirchen des Südsudan haben jetzt die UNO aufgefordert, die Kriegsregion zu einer Flugverbotszone analog der im Irak zu erklären, um die Bombardierungen zu beenden, die Fluchtbewegungen zu stoppen und Hilfslieferungen zu ermöglichen.

Die Stellungnahmen der sudanesischen Regierung sind widersprüchlich. Am 6. August erklärte sie, sie halte den Waffenstillstand ein und verteidige lediglich Versorgungskonvois gegen Angriffe; zehn Tage später sagte Präsident Beschir, die SPLA sei „besiegt“. Ob sich der internationale Druck auf den Sudan nach der Ankündigung der USA, das Land sei auf Washingtons „Terrorliste“ gesetzt worden, verschärft, hängt maßgeblich davon ab, ob Sudans Regierung Uganda – das die Flüchtlinge möglichst schnell loswerden möchte – zu einer Grenzschließung drängen kann und dann ihre Offensive einstellt.

Nicht auszuschließen ist, daß die Präsidenten Museveni und Beschir Direktverhandlungen über den Kopf der SPLA hinweg aufnehmen, um die Lage zu entspannen. SPLA-Führer John Garang hielt sich am letzten Wochenende in Ugandas Hauptstadt Kampala auf, wurde jedoch von Museveni nicht empfangen.

Erschwerend für die SPLA, die seit vielen Jahren für eine größere Autonomie des Südsudan von der Zentralregierung in Khartum kämpft, sind die in letzter Zeit von der Regierung kräftig geförderten internen Streitereien. Eine abgespaltene Gruppe unter Riek Machar und Lam Akol kämpft nach Korrespondentenberichten inzwischen auf Regierungsseite und will am 26. August einen eigenen Friedensvertrag mit der Regierung schließen. Verhandlungen zwischen Regierung und John Garangs SPLA wurden im Mai ergebnislos abgebrochen. D.J.

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