: Betr.: "Polizei –hilflos' gegen Neonazis etc., taz vom 16.8.93; "Heftige Kritik an Hessens Regierung und Polizei" ..., taz vom 17.8.93
[...] Völlig überfordert unsere Polizei, völlig überrascht von den schlauen Nazis – der Heß-Gedächtnismarsch, unterstützt von faschistischen Gruppierungen aus England, Schweden und sonstwoher, kam offensichtlich aus heiterem sommerlichem Himmel auf das rot-grüne Hessenland nieder.
Jetzt wird der Kopf eines gehobenen Polizeibeamten gefordert, der von den Ereignissen unangenehm bei samstäglichen Gartenarbeiten gestört wurde und sich entsprechend ungeschickt anstellte. Dabei hat dieser Herr aus den höheren Etagen der Fuldaer Polizei mit der Konstruktion einer legalen verbotenen Nazi-Spontandemonstration zweifellos juristisches Neuland betreten. Doch die verlautbarten Erfolgsmeldungen des Herrn Staatssekretärs aus dem hessischen Innenministerium klingen auch nicht viel besser: zur Verhinderung eines Aufeinandertreffens der „Radikalen von rechts und links“ habe man die Linken halt auf der Autobahn einkesseln müssen – und so die in Reih und Glied angetretenen Nazis geschützt (sozusagen notgedrungen mit dem knappen Polizeiaufgebot, der Rest bewachte derweil die kahlen Kali-Abraumhalden Thüringens). Ergebnis: Die rassistische „Internationale“ durfte, begleitet von vereinzelten freundlichen Polizisten, beim Marsch durch Fuldas Innenstadt ihre Dummparolen („Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“) brüllen und ihre Gegner einschüchtern.
Apropos „Überforderung“ der Polizei: Man mag doch nicht so recht dran glauben – nach einer Gedenkkundgebung von Antifaschisten in Wiesbaden waren die Beamten durchaus „einsatzbereit“. Abziehende Kundgebungsteilnehmer wurden ohne jeden Anlaß nach Lust und Laune „erkennungsdienstlich behandelt“, um die polizeiliche Fotokartei der „Linken“ auf den neusten Stand zu bringen. Und noch Stunden später kurvten Einsatzfahrzeuge der Polizei (auf Steuerzahlers Kosten), die eventuelle Aufmarschpläne der Linken zu überwachen hatte, um bekannte Treffpunkte der Wiesbadener „Szene“. Zur gleichen Zeit sammelten sich im gleichen Bundesland Hessen die Braunen zum Marsch nach Fulda.
Alles Zufall oder was? Wer da von Kumpanei zwischen Staat (oder Teilen des Staatsapparates) und Nazis redet, kann nur ein unverbesserlicher Miesmacher sein. Rudolf Engelke
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