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Serben und Moslems meiden sich

■ Krieg in Ex-Jugoslawien entzweit Menschen auch in Berlin

Seit einiger Zeit schaut der Arbeiter Ante weg, wenn ihm sein Landsmann Jovan in Kreuzberg begegnet. Einst fühlten sich beide als Jugoslawen in Deutschland verbunden. Doch nach zwei Jahren Krieg in der Heimat ist alles anders geworden: Das Haus des Kroaten Ante, das er in seinen Ferien mit aufbaute, wurde von Serben zerbombt. Jovan, bis dato Nachbar und Freund in der Fremde, ist für Ante jetzt vor allem ein Serbe, ein Feind.

„Der Krieg wirkt sich auch auf die Menschen hier aus. Sie gehen sich häufig aus dem Weg“, sagt Bosiljka Schedlich vom Südosteuropa-Zentrum. Die einzigartige Einrichtung will Brücken schlagen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur. In Berlin leben mehr als 50.000 Ex-Jugoslawen, neben Kriegsflüchtlingen vor allem Gastarbeiter. „Sie sind sehr mit ihrer Heimat verbunden. Sie haben Familie und Freunde dort. Sie haben die schönste Zeit ihres Lebens dort verbracht – nämlich immer die Ferien.“

Wie auf dem Balkan, so hat sich auch in Deutschland das Verhältnis zwischen Serben, Kroaten und Moslems verändert, sagt Bosiljka Schedlich. Nicht wenige von ihnen sammeln sich in nationalen Vereinen und schotten sich gegeneinander ab. Manche betreten nicht einmal mehr die frühere Stammkneipe, aus Furcht vor unliebsamen Begegnungen. „Wenn jemand persönlich betroffen ist, dann ist es die normalste Reaktion, auf Distanz zu gehen.“

„Serben schießen meine Leute tot“

Augenfällig wird der Nationalitätenkonflikt in der Gastronomie: Statt zum „Jugoslawen“ geht es heute zum „Serben“ oder zum „Kroaten“, statt „Balkan-Grill“ prangt nun „Bosnien-Grill“ oder „Zagreb-Grill“ über dem Eingang. Die Betreiber der 300 jugoslawischen Restaurants in Berlin sind aber „nicht streitwillig“, betont Peter Breithoff, Geschäftsführer der Hotel- und Gaststätteninnung.

Während in den Restaurants Serben oder Kroaten unter sich sein dürften, arbeiten sie am Fließband oder in Werkshallen oftmals Hand in Hand. Teamarbeit muß stimmen – aber ganz ohne Reibereien geht es nicht immer ab. „Am Arbeitsplatz spiegeln sich Konflikte der Gesellschaft wider“, sagt Dieter Herbst, Mitarbeiter in der Unternehmenskommunikation beim Pharmakonzern Schering.

Im Schaltwerk der Siemens AG knallten sich noch vor kurzem Serben und Kroaten die Tür vor der Nase zu. Sticheleien gehörten zur Tagesordnung – bis zwei Betriebsräte, ein Serbe und ein Kroate, einschritten. Sie sagten ihren Landsleuten: „Das muß aufhören.“ Heute herrscht in der Werkshalle wieder „normales Miteinander“, sagt Siemens-Sprecherin Ilona Thede.

Selbst an den Kindern geht der Nationalitätenstreit nicht spurlos vorüber. Sie sitzen mit am Abendbrottisch, wenn ihre Eltern entsetzt die TV-Bilder von Kriegsopfern in Bosnien betrachten. „Serben schießen meine Leute tot“, rief kürzlich ein kleiner Kroate, der sich wegen einer ganz anderen Sache mit einem Klassenkameraden aus Serbien stritt.

Schulen bemühen sich um Integration. In der Goerdeler-Grundschule in Charlottenburg mit Kindern aus 29 Nationen werden Serben und Kroaten nicht getrennt, sondern als Jugoslawen geführt. „Die wenigsten haben schon einen neuen Paß“, sagt Schulleiter Peter Bellgrau. Zwistigkeiten gebe es kaum, und wenn, dann oft mit einem ganz profanen Hintergrund.

Für Bosiljka Schedlich haben die meisten Serben und Kroaten den Höhepunkt des Nationalitätenstreits bereits überwunden. „Sie sehen, daß die Masse der Bevölkerung auf allen Seiten zu Schaden gekommen ist.“ Und später, so Frau Schedlich, wird es einmal wichtig sein, was jeder persönlich unter dem Druck der Kriegswirren gemacht hat, und nicht, welcher Nationalität er angehört. Jutta Lauterbach/dpa

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