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Verdrehte Begriffe

■ Betr.: Bosnien-Berichterstattung

betr.: Bosnien-Berichterstattung

[...] Es ist für mich erschreckend, wie weit die internationalen Verhandlungsführer Owen und Stoltenberg die Pläne und Denkweisen der Nationalisten übernommen haben und damit die Idee und Wirklichkeit eines multiethnischen und mulitikulturellen Staates Bosnien-Herzegowina zu Grabe tragen. Nun geht es schon so weit, daß die Angegriffenen, die Vertreter der immer noch multiethnisch zusammengesetzten bosnischen Regierung, zum Friedensverhinderer gestempelt werden, weil sie nicht der Zerschlagung des Staates zustimmen wollen. Weil sie nicht kapitulieren, werden sie für schuldig erklärt. Welch eine Verdrehung von Begriffen!

Die nationalistische Hetze im ehemaligen Jugoslawien ist auch an den deutschen Medien nicht spurlos vorübergegangen. So scheint es in Bosnien-Herzegowina nur Serben, Kroaten und Moslems gegeben zu haben. Was ist aber mit den vielen 10.000 Menschen, die – um die Terminologie zu übernehmen – serbische Mütter und kroatische Väter oder moslemische Mütter und serbische Väter haben? Was ist vor allem mit denen, die keine Religion haben, die Atheisten sind? Gibt es atheistische Moslems? Was ist mit den Menschen jüdischen Glaubens, die immer noch in Sarajevo leben? Die Einteilung der Nationalisten preßt die Menschen in ungewollte und auch unsinnige Kategorien, und die Medien übernehmen die Sprachregelungen. Das hatten wir in Deutschland schon einmal als zwischen 1933 und 1945 plötzlich aus Nachbarn Juden wurden, denen bis zum Zeitpunkt der staatlichen Verfolgung gar nicht bekannt war, daß sie „Juden“ waren.

Die Regierungen der europäischen Staaten und der USA hätten mit einem UN-Protektorat Bosnien-Herzegowina den Bürgerstaat retten müssen, wie es die Friedensgruppen aus Ex-Jugoslawien vor über einem Jahr gefordert haben. Mit der Zerschlagung des Bürgerstaates, der jetzt auch noch als „Verhandlungslösung“ verkauft werden soll, kann zwar vordergründig „Frieden“ einkehren; es wird aber ein gesellschaftlicher Unfriede sein, der weitere 10.000fache Vertreibung zur Folge haben wird. Und den Nationalisten in Europa und anderswo ist gezeigt worden, daß Krieg ein wirksames Mittel ist, ihre Ziele durchzusetzen. Auch für die Abrüstung sind die Folgen der bosnischen Tragödie fatal. Welcher kleine oder mittlere Staat wird denn auf seine Armee verzichten oder sie abbauen, wenn er absehen kann, daß bei einem Angriff keine internationale Staatenorganisation ihm zur Hilfe kommen wird? Jürgen Karwalat, Mitunterzeichner des „Berliner Appell: Keine Mauer durch Sarajevo“

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