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Mit acht Geboten gegen die Gewalt an Schulen

■ Junge Schwarze aus Atlanta stellten ihre religiös motivierte Gruppe in Berlin vor / Schüler sind angetan, Lehrer beurteilen die Wirkung moralischer Appelle skeptisch

„Vermeide es, der Masse zu folgen. Denke erst nach, bevor du Alkohol trinkst.“ Diese und acht ähnlich bedeutsam klingende Gebote sind die Leitparolen von rund 5.500 schwarzen jungen Männern in Atlanta (USA) – den „Black teens for advancement“ (BTA). Ihre „teen commandments“ (nach dem amerikanischen Begriff für die Zehn Gebote) haben in Atlanta Erstaunliches bewirkt: Seit der Gründung von BTA 1989 ist die Gewalt an öffentlichen Schulen in Atlanta um rund vierzig Prozent gesunken, hat die Polizei angeblich errechnet. Drei der BTA-Mitglieder besuchten in der vergangenen Woche Berlin. Sie stellten in fünf Schulen ihre Arbeit vor.

Das Konzept der Jugendlichen, die sich als sehr religiös bezeichnen, klingt recht einfach: Sie versuchen, an den High-Schools mit feindlichen Gangs zu kommunizieren, und vermitteln, anstatt gleich loszuschlagen. Schwarze und Weiße werden gleichsam angesprochen. Besonders wichtig für die Black Teens ist es, möglichst nur mit Schülern zusammenzuarbeiten – Lehrer, Eltern und Polizei werden nicht miteinbezogen.

Susanne Mehlin, Lehrerin der Hector-Peterson-Gesamtschule in Kreuzberg, ist skeptisch, daß ein Projekt wie BTA an Berliner Schulen einen ähnlich einschlagenden Erfolg hätte: „Der Weg zur Problemlösung ist mir zu einfach, zu typisch amerikanisch.“ Appelle an die Moral der SchülerInnen wie „Nehmt keine Drogen und prügelt Euch nicht“ würden nicht viel bewirken. Wichtig sei es vielmehr, das Selbstbewußtsein von SchülerInnen zu stärken. Erstaunt sei Susanne Mehlin, wie redegewandt und gut geschult die zwischen 15 und 22 Jahre alten BTAler wirkten – die meisten SchülerInnen waren vom Besuch der BTA begeistert. Ihre Vermutung: „Vielleicht lag das auch an den typisch amerikanischen Klamotten.“

Um Gewalt an Schulen zu verringern, müsse – entgegen dem Konzept von BTA – das Umfeld miteinbezogen werden, ist sich die Lehrerin sicher. Das versucht die Hector-Peterson-Schule schon seit 1979: Die SchülerInnen werden von der siebten bis zur zehnten Klasse vier Jahre von den gleichen LehrerInnen begleitet und betreut. „Dadurch entsteht eine fast familiäre enge Beziehung“, sagt Susanne Mehlin. In jeder Klasse sind nur zwanzig SchülerInnen, die Hälfte davon ausländische Jugendliche. Durch die enge Betreuung gibt es deshalb, so die Lehrerin, im Gegensatz zu anderen Kreuzberger Schulen nicht so viele Probleme mit Gewalt. Und: Die meisten Gewaltsituationen würden sich in der Freizeit und nicht in der Schule abspielen. „LehrerInnen können ohnehin nur an der Oberfläche kratzen.“

Ähnlich sieht es auch die 16jährige Schülerin Santiana Wolf: „Tränengas und Messer haben hier viele, aber die werden nicht in der Schule benutzt.“ An den Nachmittagen und Abenden gäbe es meist Auseinandersetzungen und Probleme, denn da wüßten viele nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Santiana findet die Jungs von BTA „echt klasse“. Sie möchte mit MitschülerInnen eine ähnliche Gruppe gründen. „Das wäre toll, denn normalerweise gucke ich den ganzen Nachmittag nur Fernsehen.“ Und: Mädchen und Jungen sollen nach ihrer Vorstellung zusammenarbeiten. Bei BTA in den USA sind nämlich nur männliche Jugendliche organisiert. Der Grund: Bei den wöchentlich stattfindenden Treffen könnten die Friedensschlichter durch das weibliche Geschlecht abgelenkt werden. Julia Naumann

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