: Das Spiel mit dem Objekt
Ein Projekt der IBA in der Lützowstraße: Die Kindertagesstätte der Architekten Halfmann und Zillich ■ Von Martin Kieren
Der Bereich um die Lützowstraße gehörte seinerzeit zu den Lieblingsgegenden des für die Neubau-IBA verantwortlichen Organisators Joseph Paul Kleihues. Und hier in der Lützowstraße wird heute eine Kindertagesstätte der 12-Apostel-Gemeinde eröffnet, die ganz eigene Qualitäten und eine eigenwillige Erscheinungsform hat.
Die Qualität dieser Kita, von den Architekten Jasper Halfmann und Clod Zillich entworfen, lebt einerseits von der städtebaulichen Setzung innerhalb eines durch Krieg und Abräumung gesprengten Berliner Blockes, andererseits durch den konsequenten Objekt- Charakter des Gebäudes. Damit greifen die Architekten zwei Berliner Themen auf, die seit IBA-Zeiten höchst virulent sind.
Die Architekten vermeiden die in den letzten Jahren in Berlin übliche, von den verantwortlichen Planern in den Ämtern auch favorisierte und eher klassische Blockrandschließung. Sie bilden keine Straßenrandbebauung mit einer zum öffentlichen Raum sich verhaltenden Fassade aus, sondern bauen ein „Kinderhaus“, das eigenen Gesetzen folgt. Zur Lützowstraße hin liegt also das offene Gelände mit einer im Hofbereich angesiedelten und von dieser Straße einsehbaren Gewerbe-Architektur aus dem 19. Jahrhundert: die alte Pumpe als Gebäude-Ensemble in traditionsreicher Backsteinarchitektur.
Diese Themen – Fragmentisierung der städtebaulichen Situation und Materialität und Struktur der alten Gebäude – werden beim Neubau der Kita auf sichere und gelungene Art und Weise transformiert: Die einzelnen Bauteile werden dabei so offensiv nach einem additiven System montiert, daß die vorhandene Spannung des vielfältigen Hinterhof-Bereiches positiv gesteigert wird.
Der nach hinten, in den Blockinnenbereich ansteigende Baukörper signalisiert dabei an der neu geschaffenen Blockdurchquerung mit einer braun-violetten Backsteinwand und den aus Stahl angesetzten Zugängen zu den ungedeckten Spielterrassen die einerseits vorgefundene und zusätzlich gewünschte Offenheit des Geländes und des Hauses. Diese Zugänge gliedern dabei zum einen das Gebäude in einzelne Teile, sie lösen zum anderen die Mächtigkeit der Backsteinwand weiter auf. Diese Erschließungsvielfalt mit Wegen und Treppen zeigt somit als erstes das System des motorischen und heiteren Spiels der Kinder an.
Dieses ernste Spiel mit der Offenheit des Blockes wird am Gebäude selbst weitergesponnen: Eine demonstrativ zum neuen Hofzugang quergestellte türkisfarbene Wandscheibe zeigt an, wo sich der Eingang befindet. Diese Wand bildet aber zugleich eine Art kleines Rückgrat und mithin eine Orientierungslinie: Sie wird in leichtem Schwung von Westen durch das ganze Gebäude bis in die auf die Ostseite gelegene Glastonne geführt. Auf ebenso farbig- heitere wie zwingende Art berührt dieses Rückgrat die drei Funktionsbereiche, die außenliegende offene Spielfläche, die steinerne Baufigur und das Glastonnengewölbe als gedeckte Spielfläche. Diese drei Bereiche sind räumlich mit ihrer Längsachse parallel streng in Nord-Süd-Richtung gruppiert, so daß die Morgensonne den „Spielbereich Glashalle“ und die Mittagssonne die Gruppenräume mit den zugeordneten Terrassen bescheint. Diese Art „Sonnengeometrie“ wird räumlich spannungsvoll ausgereizt – die Sonne mithin den Kindern am Morgen geschenkt. Eine architektonische Lösung, die einfach, aber nie simpel wirkt.
Dieses große Tonnensegment ist von der Straße aus gesehen das signifikanteste Merkmal dieses Gebäudes, und es erhält eine zusätzliche Spannung, die aus dem verwendeten Material erwächst: ein gigantisches Gewächshaus, das von dem Kontrast des wuchtigen, hölzernen Gewölbes als Tragstruktur und der filigranen, transparenten Glashaut als Schutzschirm lebt. Und wieder: eine großzügige spielerische Geste, die „Architektur“ dort ernst nimmt, wo sie dem Gebrauch der Kinder überantwortet wird. Nirgends aber wirkt diese Architektur verspielt – sie bleibt ihrer Erfüllung als Hülle und als Kunst treu, sie bleibt Artefakt, sie wirkt nie anbiedernd an den „Kindergeschmack“, und sie kokettiert erfreulicherweise nicht mit dem Kinder-Baukasten oder gar der Spieltruhe.
Es ist eben eine Kindertagesstätte. Eines der baulich umgesetzten Funktions-Themen ist in dieser Hinsicht doppelt signalisiert und als Architektur immer sichtbar: das Stapeln und Steigen – eben auch ein Kinderthema. Dem Gebäude ist diese Idee gleichsam eingeschrieben. Im Westen ist es die steigende Backsteinwand mit den gestaffelten Erkern, Schattendächern und den Seitentreppen, die die verschiedenen Ebenen erschließen, und im Osten das steigende Tonnensegment. Gleicherart – diese Idee architektonisch wandelnd – verhält sich die Erschließung im Innern: breite und großzügige, sympathisch mit Stabholz belegte Treppen, die in den Spiel- und Aufenthaltsräumen als Podeste aus Holz weitergeführt werden und gleichsam als Kletterlandschaft ausgebildet sind. Die pergolenartige Deckung der offenen, von der Straße her nicht einsehbaren Spielterrassen – sie führen das Thema der Glashalle hier abermals fort und bilden zugleich einen architektonischen Raumabschluß und suggerieren den notwendigen Schutz vor der Außenwelt.
Damit wäre ein weiterer Aspekt benannt: die Introvertiertheit des Objektes, die im Kontext dieses speziellen städtischen Raumes aber angemessen erscheint. Die Architekten verhalten sich nicht beliebig zum Zufall des Vorgefundenen, sondern sie schaffen neue und sicherere Voraussetzungen für das, was sie anschließend selber bauen. Und zwar mit einfachen und um so eher brauchbaren Mitteln der Architektur: Zur Straße hin die schützende und abschirmende „technische“ Blechwand, zum neuen Zugang die steinerne Wand – und im Innern zurückhaltende Leichtigkeit und ein von den Architekten sicher gehandhabtes Raumgefühl, ein Gespür für die Wechselwirkung von heiterem und ernstem Spiel.
Der eigentliche Bauherr – eine anonyme Kinderschar –, er wird hier wirklich ernst genommen.
Aus Anlaß der Eröffnung der Kindertagesstätte erscheint der Architektur aedes-guide no 2, hrsg. von Kristin Feireiss.
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