Bis der Atommüll in die Elbe fließt

In geologischen Gutachten für die Bundesregierung wird ein vorläufiger Verzicht auf die Atommülleinlagerung im Endlager Morsleben empfohlen / Aber die Regierung mag nicht verzichten, sie hat kein anderes  ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich

Wie ein Geschenk des Himmels muß für Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) und die bundesdeutsche Atomindustrie die deutsche Vereinigung gewirkt haben. Die DDR brachte nicht nur Millionen künftiger Arbeitsloser in die Ehe ein, sondern auch ein Endlager für radioaktive Abfälle. Flugs änderten die westdeutschen Ehevermittler das Atomgesetz und schrieben im Einigungsvertrag fest, daß das Atomklo in Morsleben bis zum Jahre 2000 weiterbetrieben werden darf. Dabei haben selbst Gutachter des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) nachhaltige Zweifel an der Langzeitsicherheit des Endlagers, und auch Töpfer garantiert in seinen Stellungnahmen bislang allenfalls Sicherheit bis zum Ende der geplanten Betriebsphase im Jahre 2000.

Wohl nicht ohne Grund verweigern Töpfer und das Bundesamt für Strahlenschutz die von Greenpeace mit der Blockade der Endlagereinfahrt geforderte inhaltliche Auseinandersetzung über die Langzeitsicherheit des Atomklos. Denn der Gutachter des Bundesamtes, Albert Günter Herrmann, kommt in zwei Gutachten zu der Schlußfolgerung, daß in den beiden benachbarten Kalischächten Bartensleben und Marie „offensichtlich nur unzulänglich wirksame natürliche bzw. geologische Barrieren zwischen dem Endlager und der Biosphäre existieren. Darüber hinaus gibt es im Bereich des ERAM (Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben) auch keine technischen Barrieren, welche eine Rückhaltefunktion gegenüber mobilisierten Radionukliden ausüben können.“ Ob derartige geologische Sicherheitsdefizite durch technische Barrieren wie Damm- oder Abschlußbauwerke kompensiert werden können, will Herrmann anhand seiner bisherigen Untersuchungen nicht vorhersagen. Er empfiehlt in beiden bisher erstellten Gutachten, „zunächst weitere wissenschaftliche und technische Untersuchungen für das ERAM vorzunehmen, bevor über die Einlagerung neuer radioaktiver Schadstoffe entschieden wird“.

Grund für die Besorgnis Herrmanns sind Lösungszuflüsse, die er im Grubengebäude der beiden Schächte festgestellt hat. Salz gilt bei Geologen als attraktiv für die Einlagerung von Gift- und Atommüll, weil wo Salz ist eigentlich keine Wasserzuflüsse sein können. Das Salz würde sich lösen. Für die Lösungszuflüsse im sogenannten Lagerteil H, der im Schacht Marie liegt, hat Herrmann bereits nachgewiesen, daß sie aus dem Deckgebirge stammen, also eine Verbindung zur geologischen Umwelt darstellen. Für den Schacht Marie, der seit DDR-Zeiten als Zwischenlager für Zyanidsalze genutzt wird, besteht daher die ernsthafte Gefahr des Absaufens. Über die Verbindung beider Schächte, so befürchten Gutachter, könnte eindringendes Wasser bis in den Endlagerbereich für Strahlenmüll vordringen und so Radionuklide mobilisieren, die bis ins Grundwasser vordringen können.

Aber auch im Schacht Bartensleben, der das eigentliche Atomklo ist, gibt es Zuflüsse und Tropfstellen. Wo diese Flüssigkeiten exakt herkommen, vermag Herrmann bislang noch nicht zu sagen. Aus einem internen Protokoll der Reaktorsicherheitskommission von 1991 geht hervor, daß selbst das

BfS Bedenken zur Standfestigkeit des Grubengebäudes hatte. Die Reaktorsicherheitskommission setzte sich jedoch bedenkenlos darüber hinweg und meldete Töpfer, das Atomklo sei sicher. Töpfer, das ist bekannt, verläßt sich im Zweifel blind auf seine Kommission.

Aber selbst der Bundesumweltminister ist sich seiner Sache nicht ganz sicher. Bis zum Ende der Betriebsphase, so teilte Töpfer in einer Pressemitteilung zur Greenpeace-Blockade mit, sei die Sicherheit gewährleistet. Für die Zeit danach werde es ein neues Planfeststellungsverfahren in Sachsen-Anhalt geben.

Dessen Ausgang ist ungewiß, womöglich muß die Bundesrepublik neue Technologien entwickeln, um den ganzen Atommüll aus Morsleben wieder herauszuholen. Denn das Atomklo erfüllt wesentliche Anforderungen an ein Endlager nicht. Nach den bundesdeutschen Sicherheitsanforderungen muß ein Endlager in einem Kalischacht eine Salzschwebe von mindestens 150 Metern haben. Zwischen Atommüll und anderen geologischen Formationen müßten 150 Meter Salz liegen. In Morsleben ist diese Salzschwebe, die den Strahlenmüll von der Biosphäre abschirmen soll, teilweise nur 32 Meter dick.

Um so mehr besteht die Gefahr, daß sich die bisher festgestellten Lösungszuflüsse zu massiven Wassereinbrüchen auswirken, die Radionuklide wiederum ins Grundwasser einschwemmen können. Nach verschiedenen Untersuchungen ist nicht auzuschließen, daß auf diese Weise verseuchtes Grundwasser in die Aller und von dort aus in die Elbe gelangt. Morsleben kann dadurch eine nicht mehr zu beherrschende Breitenwirkung entfalten.

Selbst das Bundesamt für Strahlenschutz, die Reaktorsicherheitskommission und Bundesumweltminister Töpfer sind sich in der Sicherheitsbeurteilung für Morsleben nicht sicher. Aber die Chance, die drückende Entsorgungslage ein wenig zu entschärfen, führte dazu, daß sie sich über alle Sicherheitsbedenken hinweggesetzt haben. Niemand will, nicht einmal auf konkrete Nachfrage, eine Sicherheitsprognose für die Zeit nach dem Jahr 2000 abgeben. Töpfer wie auch das Bundesamt für Strahlenschutz verweisen stets auf das noch anstehende Planfeststellungsverfahren. Dann werden neue Daten erhoben werden müssen, die die Atomfans vielleicht auf den Boden der Realität zurückbringen. Denn die vor der Änderung des Atomgesetzes und der durch den Einheitsvertrag vereinbarten Übernahme des Endlagers vorgenommenenen theoretischen Sicherheitsberechnungen basieren lediglich auf der Computerberechnung ungeprüft übernommener DDR-Daten.