: Einkaufszentrum über jüdischen Gräbern
Hamburgs Parlament stimmt Kompromiß im Streit um ehemaligen Jüdischen Friedhof zu ■ Aus Hamburg Ulli Exner
Wenige Wochen vor den Neuwahlen stimmte die Hamburger Bürgerschaft am Mittwoch abend einem Kompromißvorschlag des Senats der Hansestadt zu, mit dem der Streit um den Bau eines Einkaufszentrums auf dem Gelände des jüdischen Friedhofs im Hamburger Szene-Stadtteil Ottensen endgültig beigelegt werden soll.
Der Kompromiß, den der Senat nach monatelangen Verhandlungen vorgelegt hatte, sieht vor, daß das Einkaufszentrum zwar errichtet wird, allerdings ohne das Erdreich im Friedhofsbereich auszuheben. Für die Kosten der Neuplanung und die damit verbundene Verzögerung des Baubeginns erhält der Bauherr, die Hamburger Investorengemeinschaft Büll+Liedtke, eine Entschädigung von 16,4 Millionen Mark aus der Stadtkasse. Weiteres Zugeständnis an das Unternehmen: Es muß nicht, wie ursprünglich vorgesehen, 80 sondern nur noch 41 Wohnungen in dem Gebäudekomplex integrieren. Zu Beginn der Verhandlungen hatte das Unternehmen eine Entschädigungssumme von 3,3 Millionen Mark gefordert. Die Einigung wird auch von den orthodoxen Juden akzeptiert, die im vergangenen Jahr wochenlang gegen den Bau des sogenannten „Hertie-Karrees“ demonstriert hatten, weil die damit verbundenen Grabungsarbeiten die Totenruhe gestört hätten. Eine Verlagerung der Gräber lehnten die orthodoxen Juden ab.
Nach den neuen Plänen soll das Erdreich des Friedhofsgeländes unangetastet bleiben. Auf den geplanten Bau einer Tiefgarage soll nun verzichtet, Parkplätze statt dessen im Obergeschoß erstellt werden und das Gebäude im Friedhofsbereich auf einem überirdischen Plattenfundament errichtet werden.
Während SPD, CDU und FDP dem in monatelangen Verhandlungen zwischen Senat und Investorengruppe ausgehandelten Kompromiß am Mittwoch abend ohne Kommentar zustimmten, forderten die Hamburger Grünen den Senat noch einmal auf, das Grundstück zurückzukaufen, um dort eine Gedenkstätte zu errichten.
Fraktionschef Martin Schmidt erinnerte dabei an den Spruch des Oberrabbiners Itzjak Kolitz, der der Bebauung zwar zugestimmt hatte, allerdings nur „schweren Herzens“ und mit der Erklärung, daß „jedes Gebäude über diesem Friedhof ein Schandmal für die deutsche Regierung sei“. Der Ottenser Friedhof war von den Nationalsozialisten komplett zerstört und teilweise mit Bunkern bebaut worden. Nach dem Krieg war ein Teil des Friedhofsgeländes mit einem Kaufhaus bebaut worden.
Ob die Auseinandersetzungen um den Bau des Einkaufszentrums mit dem Kompromiß wirklich beendet sind, steht allerdings noch nicht fest. Während von Seiten der orthodoxen Juden kein Protest mehr zu erwarten ist, kritisierte eine Anwohnerinitiative den Senatsvorschlag und den Verzicht auf 39 Wohnungen zugunsten zusätzlicher Parkplätze im Obergeschoß des Einkaufszentrums in dieser Woche heftig.
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