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Geiselnahme war „nur“ eine Erpressung

■ Drei „Täter“ sind wieder auf freiem Fuß, zwei Männer sitzen in U-Haft

Die sogenannte „Geiselnahme“ vom Freitagabend (taz berichtete), die angeblich von Mitgliedern der „Russenmafia“ (Mopo, Abendblatt) verübt worden sein soll, entpuppt sich zunehmend als eine kleinkriminelle Tat. Nach den jetzigen Ermittlungen haben sich die fünf mutmaßlichen Täter höchstens einer räuberischen Erpressung schuldig gemacht. Polizeisprecher Dankmar Lund gestern zur taz: „Zum Zeitpunkt des Zugriffs hat keine konkrete Bedrohung von Personen stattgefunden.“

Wie berichtet, hatte am Freitag abend eine mutmaßliche Geiselnahme Hamburgs Polizei in Atem gehalten. Die Polizei hatte gegen 17 Uhr den Anruf einer 27jährigen Russin bekommen, daß ihr gleichaltriger Ehemann sowie ihr dreijähriger Sohn bei McDonalds in der Osterstraße von einem bewaffneten Erpresser festgehalten und bedroht würden.

Doch die Realität sah anders aus. Sicher scheint, so die Polizei, daß die Familie erpreßt werden sollte. Bereits am Donnerstag waren zwei Russen ins Zimmer ihres 27jährigen Landmanns in der Asylunterkunft Woerdemannsweg eingedrungen, hatten ihn mit einem Gasrevolver bedroht und die Herausgabe eines Videorecorders erzwungen. Außerdem sollte der junge Mann, der offenkundig durch das Kopieren und Dealen mit russischen Videos gut bei Kasse ist, 4000 Mark zahlen. Lund: „Es ist kein Geheimnis, daß bei den Russen, wenn einer zu Geld gekommen ist, die anderen dafür sorgen, daß es 'gerecht' verteilt wird. Mit Mafia hat das aber nichts zu tun.“

Fest steht wohl auch, daß der Russe am Freitagabend am Busbahnhof Gazellenkamp von drei Männern wegen 1000 Mark angesprochen wurde. Einer begleitete ihn dann zur Osterstraße, wo der 27jährige seine Frau abholen wollte. Die schätzte wohl dann die Situation aufgrund der Vortagsereignisse falsch ein. Lund: „Daß man die Herausgabe von Geld verlangt, ist wohl so konkret nicht geäußert worden.“

Dennoch habe die 27jährige an eine Geiselnahme gedacht. Lund: „Die Ehefrau glaubte, eine Waffe gesehen zu haben. Wir mußten uns daher darauf einstellen, daß der Täter bewaffnet ist.“ Als die zivilgekleideten BeamtInnen des Mobilen Einsatzkommandos den Mann im Feierabendtrubel überwältigten - die angebliche Geisel befand sich samt Sohn gerade bei McDonalds zwecks Cola-Einkaufs - stellten sie fest, daß der „Täter“ unbewaffnet war. Auch vier am Woerdemannsweg überwältigten Landsleute hatten nur Schreckschußpistolen dabei. An eine vorgetäuschte Geiselnahme glaubt die Polizei allerdings nicht: „Ich halte die Familie nicht für so clever, sie ist zudem total verschüchtert“, so Lund.

Das Ende der Geschichte: Drei mutmaßliche Täter befinden sich wieder auf freiem Fuß, gegen die zwei Erpresser vom Donnerstag wurde Haftbefehl erlassen.

Kai von Appen

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