: Der Mensch der deutschen Insel Von Claudia Kohlhase
Der Wind ist kein himmlisches Kind, sondern ein Rotzlöffel; zumindest auf einer Nordseeinsel. Der rüttelt und schüttelt an allen Fassaden, daß die Wimpern klimpern wie morsche Markisen. Echte Männer können sich hier beim Aushub der Strandburg bewähren, falschen Frauen fliegen die Gesichter weg, als wenn's Perücken wären. Auf den Fensterbänken der Pensionen streiten sich die Usambaraveilchen mit den Serviettentaschen um den Platz an der Sonne, um die Schaufel kämpft der Papi mit dem Sohn, der Männlein heißt. Das macht das Reizklima. In der Strandhalle befiehlt die Mutti dem Papi, daß er dem säumigen Ober winke: da sitzt man und sitzt man hier schon geschlagene drei Minuten, und kein Aas kommt! Das muß man sich mal vorstellen für das gute Geld! Nebenan die alten Damen finden Borkum größer, aber nicht schöner, obwohl der Friedhof ja doch sehr klein sei. Die Nichte der jüngeren älteren Dame hat sich in den Dirigenten vom Kurkonzert verliebt, ein Ungar, aber Professor auf dem Festland. Nein, sie haben noch keins der Konzerte verpaßt, auch wenn die Stühle in der Kurhalle dem Kunstgenuß dramatisch entgegenstehen.
Leicht leidet unter dem Enthusiasmus der Nichte auch das Strandleben, weswegen man, strenggenommen, ja hier ist. Auch will die Nichte bei Kälte partout keinen Anorak anziehen, da nicht auszuschließen ist, daß auf einmal der Dirigent vorbeikommt. Na, man wird ja sowieso nur vom Winde verweht in diesen Tagen, mit diesem gräßlichen Sand überall, wie das knirscht. Und dann geht auch das Meer immer weg, wenn man mal baden will. Und nur Hasen dürfen Dünen betreten. Und dann entlaufen einem noch die Muscheln, weil sie Krabben sind. Ach, man hat's nicht leicht auf deutschen Nordseeinseln. Vor lauter gegenläufiger Luft kommt man kaum zum Vorwärtsdenken, aber man wird braun dabei.
In der Inselweberei kann gelernt werden, wie man webt, obwohl man das noch nie lernen wollte. Einmal die Woche gibt es von Professor Dr. Schulze-Neustedt, der hier seinen Altersruhesitz gefunden hat, in Wirklichkeit aber nicht ruht, einen interessanten Vortrag „Über das Frauenbild in Goethes Faust“ zu hören, in immer neuen Facetten zubereitet. Die meisten lesen aber nicht auf Inseln, sondern lösen Kreuzworträtsel oder suchen an Sweatshirtständern häßliche Sweatshirts für die ganze Familie. Im übrigen erkennt man Familien nicht nur am gleichen Sweatshirt, sondern darüber hinaus noch an den gleichen Stirnbändern in Neonpink.
Abends in den Aufenthaltsräumen vom Haus des Kurgasts wird über die Nachbarn zu Hause geflüstert, als säßen sie nebenan. Und da sitzen sie im Prinzip auch, denn es gibt nur Deutsche auf deutschen Nordseeinseln. Wer mehr als vier Bier trinkt in einer der drei Kneipen, entschuldigt sich bei der Bedienung, die das aber gut versteht.
Den ganzen Tag knattern sonst noch die Fahnen vorm Strandhotel, als wären sie Herolde des messerscharf geklinkerten Dünenpfads, der so sauber ist, daß man vom Boden essen könnte. Da will sich auch das Meer nicht lumpen lassen und schwappt in dezenten Wellen an den Strand. Abschiede von Nordseeinseln fallen einem immer schwer, denn man hofft bis zum Schluß, das Loch in der Wolkendecke wäre die Sonne.
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