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Sensibles Gleichgewicht

Im 15. Jahr endlich schuldenfrei und ohne Zugeständnis an denMainstream: Das Festival für freie Musikim österreichischen Saalfelden  ■ Von Peter Thomé

Zeitgleich mit dem Jazzfestival Willisau startete vor einer Woche ein zweites Festival in den Alpenrepubliken. Doch anders als die renommierte Veranstaltung in der Schweiz etabliert sich das Festival in Saalfelden bei Salzburg erst jetzt. Hier wie dort gibt man traditionell der freien Musik den Vorzug und leistet sich diesmal die teure David Murray Big Band sogar gemeinsam.

Im Zelt in Saalfelden drängen sich 2.500 Besucher gleich am ersten Abend. Sie sehen eine akrobatische Performance des L'Orchestre des Contrabasses, das auch zu siebt an einer einzigen großen Geige noch einen leidlichen Ländler zustande bringt. Improvisierend bietet der Chor der großen Geigen ein breites Stilspektrum von Mingus-Standards über Django-Reinhard-Adaptionen bis hin zur Musette, und liefert mit seinen equilibristischen Einlagen am gleichen Instrument einen kompakten Eindruck kollektiver Geschlossenheit mit Humor und Eleganz.

Bis auf die Akrobatik fehlte genau das der zwanzigköpfigen Big Band Murrays, einer New Yorker All-Star-Formation, die auch durch die Leitung von Butch Morris an keiner Stelle zu dem Klangkörper wird, den sich Veranstalter und Besucher versprochen haben und den die vor zwei Jahren eingespielte CD erwarten ließ. Murray, der danach monatelang im New Yorker Sweet Basil gastierte und dabei einen so frischen Big-Band- Sound kreierte, verfällt hier schnell in Solo-Ensemble-Solo-Wechsel, in eine Vorstellung der Stars. Saxophonist Tim Berne spielte Kompositionen seines Mentors Julius Hemphill, kleine Kunstwerke, in denen grelle Improvisationen völlig nahtlos mit einfachen Rhythmen der Great Black Music wechseln. „Es sind Skelettkompositionen, die sich die Band aufs beste über die Improvisation angeeignet hat“, wie Hemphill selbst dazu bemerkte. Dem bleibt nichts hinzuzufügen, außer der beschämenden Tatsache, daß Julius Hemphill, Mitglied des legendären World Saxophon Quartet, im Krankenhaus liegt und seine Versorgung nicht bezahlen kann. Tim Berne rief zu Spenden auf.

Ähnlich sicher wie Bernes „Diminutive Mysteries“ wandelt das Myra Melford Extended Ensemble auf dem Königinnenweg zwischen Komposition und Improvisation. Die Pianistin, die ihre Musik aus dem Free-Jazz entwickelt hat, verfügt jetzt über einen stilunabhängigen, ansteckenden Groove, der sich nie zur Masche verfestigt, und über eine von ihr behutsam ausgebaute Band, in der der immer noch unterbewertete Saxophonist Marty Ehrlich und Reggie Nicholson am Schlagzeug die herausragenden Musiker sind. Nicholson sowie Joey Baron und Gerry Hemingway teilen sich gleichermaßen die Lorbeeren für unprätentiöses, explosives und melodiesicheres Schlagzeugspiel. Wie bei Nicholson greift auch bei Hemingway eine Frau in die Tasten. Marilyn Crispell, die anders als Myra Melford die Free-Jazz-Piano-Tradition fast pur fortführt, bildet mit Reggie Workman als Leader des Ensembles und Hemingway ein ungemein pulsierendes Rhythmusgespann, das John Purcell zu wahren Höhenflügen am Sax treibt. Das wünschte man auch Alfred 23 Harth, der mit seinem schlecht eingespielten, vergleichsweise behäbig wirkenden Quasar-Quartett sehr wohl glänzend besetzt ist und steigerungsfähig scheint. Larry Ochs vom Rova Saxophon Octet muß sich sagen lassen, daß die Verdoppelung der Instrumente noch lange keine der Poesie bedeutet und die Botschaft der acht Hörner, neben wenigen lautmalerischen Höhepunkten, zu oft bloß ein freies Nebeneinanderher ist. Don Byron, dem im letzten Sommer an gleicher Stelle mit „Tuskeegee Experiments“ ein voller Erfolg gelang, hat sich diesmal mit der angekündigten „völlig neuen Synthese von latin idioms mit dem Jazz“ schlicht übernommen. Die bevorzugten Anleihen gehen nicht weit über Kuba hinaus und erscheinen ebenso wie die ausufernden Soli des Conga-Spielers Jerry Gonzales als aufgesetzt und hochgradig unschlüssig. Bill Frisell wieder schwelgt mit „Have a little faith“ in den Ohrwürmern und Gassenhauern der nordamerikanischen Siedler, ungebrochen von jedwedem Humor, und fällt so der heilen Country-und-Western-Welt anheim.

Obwohl der Veranstalter sich erst mit diesem 15. Festival endlich schuldenfrei stellen kann, hat sich der Verein „Das Zentrum für Zeitgenössische Musik Saalfelden“ und Gerhard Eder als künstlerischer Leiter auch diesmal ein Zugeständnis an den Mainstream versagt.

Abgesehen vom Jazz-Rock-Revival des Mike Stern Trios, das so gut wie kein Klischee ausläßt und deshalb oder trotzdem vom Publikum begeistert gefeiert wird, dem Bebop-Standard-Programm des Paul Motian Quintets, bei dem sich im Zelt die Gesprächsintensität deutlich steigert (so als wäre das Radio eingeschaltet worden) und der nur als Repertoirepflege zu deutenden Interpretation von Ellington und Mingus durch das Vienna Art Orchestra, stand der experimentelle Jazz im Zentrum des Festivals. Allein Steve Coleman gelingt es mit seinen Metrics, einem Quintett mit drei Rappern, Innovation und Unterhaltung im empfindlichen Gleichgewicht zu halten mit einer gelungenen Mischung von Elementen des HipHop, des Scat-Gesangs und des Free-Funks etwa im Stil der Ornette Coleman Electric Band.

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