: Wo aus Zeitgeist Fußball wird
SC Freiburg – Borussia Mönchengladbach 3:3 / Schnell und schön: Fußball mit Symbolcharakter im Duell der intelligenten Habenichtse ■ Aus Freiburg Simone Lutz
Fußballschauen in Freiburg – dieses Vergnügen muß erst mal erarbeitet werden. Bei jedem Heimspiel spaltet das strikt rationierte Kartenkontingent Fußball-Freiburg in zwei Klassen: die der Besitzenden und die mit den langen Gesichtern. Sitzplatzkarten sind zur Bückware avanciert. Für glückliche Stehplatzsteher ist angesagt, mindestens zweieinhalb Stunden vor Spielanpfiff zu kommen. Nur so besteht eine reelle Chance, im Freiburger Schlumpfstadion (15.000 Plätze – großzügig gerechnet) auf der Gegengeraden einen der vorderen Plätze zu erkämpfen. Weniger Entschlossene stehen in der zweiten oder dritten Reihe auf Zehenspitzen – Wadenkrämpfe sind kein Privileg der Spieler mehr – und sehen vom Spiel nur einen Ausschnitt, unerbittlich begrenzt von den Hinterköpfen der Vorderleute. Diesen Ausschnitt bevölkerten am Samstag der SC Freiburg und sein Gast, Borussia Mönchengladbach.
Kleiner Zeitsprung: Gladbach, das war einst eines der populärsten Teams in Europa, mehrmals Deutscher Meister, zweimal Deutscher Pokalsieger, zweimal UEFA-Cup- Sieger und in den 70er Jahren geradezu Symbol für eine neue Spielkultur. Gladbach spielte schnell, direkt und schön, und die Zuschauer gingen begeistert mit. Günter Netzer mit wehendem Blondhaar machte mit Witz und Tempo die braven Bubis naß, die ihr Haar noch sorgfältig mit Brisk nach rechts scheitelten. In der Bundesrepublik schüttelte eine ganze Generation den Mief der 50er und 60er Jahre ab, und Gladbach machte Fußball draus.
Die Underdogs und Sympathieträger vom Bökelberg lieferten sich legendäre Kämpfe um die Macht mit der anderen überragenden Mannschaft der Bundesliga, dem FC Bayern München. Wenn sie gewannen, wurden die Glückwunschkarten im Gladbacher Postamt waschkörbeweise gezählt. Doch im Gegensatz zu den Bayern konnten die „Fohlen“ von Trainer Hennes Weisweiler auf die Dauer nicht mithalten beim großen Geschäft. „Längerfristig betrachtet, wird da bester Fußball gespielt, wo Geld ist“, hat Bremens Trainer Otto Rehhagel die traurige Wahrheit einmal auf den Punkt gebracht. Gladbach ist inzwischen eine fast gewöhnliche Bundesliga- Mannschaft geworden.
Auch die Freiburger haben kein Geld, nicht mal die Aussicht, irgendwann dick abzusahnen. Auch sie spielen ästhetischen Offensiv- Fußball; flexibles Kurzpaß-Spiel, wie es Trainer Volker Finke propagiert. Auch sie ziehen Leute ins Stadion, die früher lieber Sat.1 eingeschaltet hätten. Auch sie sind in den Augen ihrer Fans die Underdogs, mit denen man sich solidarisieren kann im Kampf gegen die Großen.
Aber the times, they are a-changing, und von Aufbruchstimmung wie damals bei Gladbach ist in der Republik nichts zu spüren – im Gegenteil. Und so versuchen die Freiburger ganz pragmatisch, schöner spielen und mehr verdienen unter einen Hut zu kriegen, „ohne sich dabei zu verkaufen“, wie Trainer Finke hofft. Noch klappt's. Ob der SC langfristig im Unternehmensverband erste Bundesliga mitspielen kann, ist aus marktwirtschaftlicher Sicht zweifelhaft. Im Augenblick muß sich der Aufsteiger auch sportlich mühen, nicht gleich wieder in die zweite Liga abzusteigen. Dreimal gespielt, aber leider keine Punkte – das war bisher die Bilanz der Schwarzwälder. Gegen Gladbach sollte das anders werden, und deshalb lugten die Stehplatzreihen in der ersten Halbzeit nur in eine Richtung: dort, wo Gladbachs Keeper Dirk Heyne im Minutentakt Bälle abwehren mußte.
In der ersten Halbzeit stürmten die Freiburger mit elf zu zehn Spielern (Habermann hatte rot gesehen), in der zweiten Halbzeit rappelten sich die Gladbacher auf – jetzt stand's wieder zehn zu zehn (Heidenreich hatte rot gesehen). Das Stadion ächzte, die hinteren Reihen sprangen vor Aufregung und mangels Überblick auf und ab. Seeliger bringt die Badener in Führung, der Freiburger Albaner Rraklli macht mit 2:0 alles klar. Alles klar? Denkste. Heiko Herrlich schafft den Anschlußtreffer, Kastenmaier setzt mit einem Foulelfmeter noch eins drauf. Jens Todt bringt die Schwarzwälder noch mal in Führung, aber Gladbach macht zwei Minuten vor Schluß das 3:3. Die Galerie war trotzdem wieder mal begeistert: offensives Fußballspiel at its best mit vielen Toren. Aber nur ein Punkt für Freiburg.
Uff. „Kein Spiel für schwache Nerven“, schnaufte Bernd Krauss hinterher. Gladbach liegt jetzt auf dem zwölften Tabellenplatz, Freiburg drei dahinter. Jetzt muß an der Schwarzwaldstraße gekämpft werden für den Klassenerhalt. Wie sagte Volker Finke so schön: „Die Bundesliga ist eine Dreiklassengesellschaft. Ganz oben bekommen die, die international spielen, ihr Geld zurück. Dann kommt die Mittelschicht, und die dritte Klasse ist die der Habenichtse. Wir wollen die Nummer eins der Habenichtse werden.“
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