: Alle Jahre wieder...
■ betr.: Die Wahl des Bundespräsi denten
...kommt nicht nur das Christuskind auf diese Erde, sondern auch die leidige Diskussion um die Besetzung von Spitzenpositionen in Partei und Staat auf uns zu. Im nächsten Jahr, dem „Superwahljahr“ 1994, wird es unter anderem um das ehrwürdige Amt des Bundespräsidenten gehen, und der Streit um die Nominierung des Würdigstem im Lande ist bereits in vollem Gang. Jede der großen und kleineren Parteien möchte das Privileg der Ämterbesetzung gerne für sich in Anspruch nehmen, und kaum eine beklagt sich nicht darüber, bisher in dieser Hinsicht viel zu kurz gekommen zu sein.
Neuester Mittelpunkt der Diskussion ist derzeit Johannes Rau, der allem Anschein nach von der SPD ins Rennen geschickt werden wird und von dem behauptet wird, er könne angeblich besser repräsentieren als regieren. Na endlich. Die ideale Besetzung also. Ende des politischen Gerangels und allgemeine Erleichterung?
Nicht ganz. Bei all den Kandidaten, die bisher ins Feld geführt wurden, fällt der aufmerksamen Beobachterin doch eines auf: Sie sind alle männlich. Nun ja, wird man ihr entgegnen, das sei doch nur Zufall. Die objektive Tatsache, daß sich keine geeignete Frau für dieses höchste Staatsamt finden läßt, habe durchaus nichts mit antifraulichen Ressentiments und Vorbehalten zu tun, sondern sei lediglich auf den Mangel an qualifizierten Frauen zurückzuführen. Also bitte kein feministisch-hysterischer Aufschrei!
Dieses Schein-Argument ist praktisch und bequem, suggeriert es doch, es gäbe keine Frau, die dieses Amt mit ihrer Präsenz füllen könnte. Weit gefehlt. In Wirklichkeit wird hiermit nur die Tatsache verschleiert, daß Frauen bis jetzt gar nicht in die Diskussion gebracht wurden bzw. sich selbst nicht in die Diskussion einbrachten. Über potentielle Kanditatinnen wie etwa Rita Süssmuth, Hildegard Hamm-Brücher oder Annemarie Renger ließe sich doch ohne weiteres diskutieren. Natürlich werden sie in der Öffentlichkeit keine einstimmige Zustimmung erfahren, und natürlich müßte man erst einmal ihre Meinung hören, doch für etwaige männliche Kandidaten würde das kein Hindernis darstellen. Wieder einmal zweierlei Maß also? Dem ist wohl so. Ginge es tatsächlich nur nach dem Kriterium der Geeignetheit, dann müßte eine Frau wie die Hamm-Brücher, die übrigens im kleinen Finger mehr Charisma besitzt als Johannes Rau in ganzer Länge – was gerade für ein Repräsentationsamt von entscheidender Bedeutung ist –, im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Dem ist aber nicht so.
Statt dessen ergeht man sich in Personalspekulationen, die teilweise mehr als peinlich sind und die Lächerlichkeit der Kandidatenauswahl enthüllen. Erinnern wir uns an die Kampagne „Ignatz Bubis for President“, welche die Presse mehrere Wochen lang in Atem hielt. Nicht nur, daß die Ablehnung des Vorgeschlagenen völlig ignoriert wurde, nein viel schlimmer war die so leicht zu durchschauende Absicht der Bubis-Befürworter. Ganz offensichtlicher kümmerte sich niemand darum, ob Herr Bubis für dieses Amt qualifiziert sei oder nicht. Seine Qualifikation bildet sein Judentum, welches öffentlich instrumentalisiert werden sollte, um Deutschlands ramponiertes Gesicht mit seinen rassistischen und antisemitischen Auswucherungen im Ausland wieder schönzufärben. Die Rechnung ging – glücklicherweiser – nicht auf; Ignatz Bubis ist zu intelligent, als daß er sich als Zugpferd vor den Schubkarren von Pseudo-Antirassisten spannen ließe.
Nun denn. Nächstes Jahr wird er also gewählt, der Herr Bundespräsident. Hoffentlich wird er bei der Schwierigkeit seines Amtes uns nicht vergessen, uns Frauen, die Hälfte des Volkes. Vielleicht wird es uns einen fernen Tages gelingen, eine Kandidatin ins Gespräch zu bringen, die einmal Frau Bundespräsidentin sein wird. Aber Vorsicht, verehrte Dame. Sie werden nach Ihrem Amtsantritt erst einmal beweisen müssen, daß Sie auch die Herren der Schöpfung in zureichendem Maße vertreten. Fazit: Nichts Neues im Staate Deutschland. Gaby Sonnabend, Bonn
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