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Die Zeppelinstadt im Sinkflug

In Friedrichshafen am Bodensee schnellen die Arbeitslosenzahlen von drei auf zehn Prozent, doch der Zeppelingeist schwebt immer noch über der Stadt  ■ Von Corinna Raupach

Als Ernst K.* in die Personalabteilung gebeten wurde, dachte er, es gehe um die 17 Leute, die seiner Abteilung vor einer Woche zugeschlagen worden waren. Statt dessen wurde er gefragt, ob er nicht in den vorzeitigen Ruhestand treten wolle. „Da habe ich erst mal tief Luft geholt“, sagt er. 23 Jahre arbeitete der gelernte Techniker für die Maschinen- und Turbinen- Union (mtu) Friedrichshafen, zuletzt als Vertriebsleiter. „Obwohl ich wußte, daß man 800 Leute abbaut, kam die Frage ziemlich plötzlich.“ Gegen den Willen seines direkten Vorgesetzten verließ er die Firma. „In einem Jahr steht die nächste Runde an, und zwar zu weniger guten Bedingungen.“

Der Werkschlosser Matthias M.* hatte eben bei Dornier eine Urlaubssperre und eine Überstundenvereinbarung unterschrieben, als ihm gekündigt wurde. Seine Werkstatt baute Filter für Bundeswehr-Alarmvorrichtungen, und er kam selten vor 23 Uhr nach Haus. Mit 28 Jahren, drei Jahren Betriebszugehörigkeit und zudem unverheiratet, stand er laut Sozialplan ganz oben auf der Liste der zu Entlassenden. „Jetzt schrauben die Techniker die Teile zusammen, weil die Mechaniker alle gefeuert sind“, sagt er. Er fand einen neuen Job bei einer Blechschlosserei im Hinterland. Er hätte nicht gedacht, jemals arbeitslos zu werden, sagt er. „Ich war immer froh, vom See zu kommen, hier haben sie immer noch Arbeitskräfte von außerhalb gesucht.“

„Große Entlassungen“ wird es in Friedrichshafen in diesem Jahr zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg geben. Bisher lag die Arbeitslosenquote bei zwei, drei Prozent. Zum Jahresende wird sie auf neun oder zehn Prozent angestiegen sein. Die 55.000 EinwohnerInnen zählende Stadt am Bodensee gehört zu den wohlhabendsten Deutschlands. Sie verfügt über einen von zehn Lufthansa- Flughäfen, leistete sich ein 100 Millionen Mark teures Tagungszentrum und ein eigenes Messegelände. Jahr für Jahr füllten Gewerbesteuern um die 60 Millionen Mark das Gemeindesäckel. Dazu kamen regelmäßig Dividenden in Millionenhöhe. Denn die Stadt ist treuhänderische Verwalterin der Zeppelin-Stiftung, der die Zahnradfabrik (ZF) und die Zeppelin- Metall-Werke (ZMW) gehören.

Der wirtschaftliche Aufschwung kam um die Jahrhundertwende mit der Zeppelin-Luftschiffahrt in die damals knapp 5.000 Seelen zählende Gemeinde: Um leichtere Motoren für die Luftschiffe herzustellen, gründete Graf Zeppelin mit dem Maybach- Motorenbau den Vorläufer der mtu. Nach den Luxuslimousinen der 30er Jahre fertigte das Unternehmen im Zweiten Weltkrieg Panzermotoren und sicherte sich auch danach einen Platz im internationalen „Behördengeschäft“. Hauptsächlich lebte man von staatlichen Aufträgen, mit den Schwerpunkten Regionalflugzeugbau, Raumfahrttechnik sowie militärische Aufklärungs- und Waffenrichtsysteme. Die ZF sollte für die Luftschiffe Getriebe und Zahnräder anfertigen. Der Stiftungsbetrieb entwickelte sich zu einem der größten europäischen Zulieferer im Automobil- und Nutzfahrzeugbereich.

Zwei Drittel der arbeitenden Bevölkerung sind heute bei den drei Großbetrieben beschäftigt. Das bedeutete neben einem sicheren Arbeitsplatz auch überdurchschnittliche Gehälter und Sozialleistungen. „Bub, geh in die ZF, dann bist du versorgt“, lautete der elterliche Standardtip.

Doch die goldenen Zeiten sind vorbei. Im Arbeitsamt Friedrichshafen, einem eher an ein Wohnhaus erinnernden Gebäude inmitten von Blumenbeeten, können die kurzen Flure zum erstenmal nicht alle Wartenden aufnehmen. „Erst gehen die kleineren Betriebe ein, die als Zulieferer für die großen arbeiten, dann die Konstruktionsbüros und die EDV-Hersteller, dann klagen die Gaststätten“, hat Arbeitsamtsleiter Karl-Otto Gerlach beobachtet.

Derzeit beträgt die Arbeitslosenquote 5,9 Prozent. Rechnet man zu diesen Zahlen die Vorruheständler hinzu, hat Friedrichshafen jetzt schon eine Quote von 7,7 Prozent – obwohl die großen Entlassungen noch ausstehen. Im Vergleich zu bundesdeutschen Krisenregionen ist das wenig. Für das verwöhnte Friedrichshafen ist es viel. „Die Entwicklung war vorauszusehen, die Struktur der Stadt ist sehr sensibel“, urteilt Gerlach.

Rezession, Kürzungen im Verteidigungs- und Raumfahrthaushalt und der verschärfte Preiskrieg auf den internationalen Märkten machen sich bei den Großunternehmen bemerkbar. Seit einem Jahr wird kurzgearbeitet, jetzt wird entlassen. Die ZF will allein in diesem Jahr 1.000 MitarbeiterInnen von 5.844 abbauen. Im nächsten Jahr sind noch einmal fast 500 fällig. Bei mtu müssen von 5.500 Mitarbeitern 800 gehen, allerdings bleibt es bei sogenannten weichen Maßnahmen: Nichtersetzen der Fluktuation, Vorruhestand. Die 770 Stellen, die von den derzeit 4.700 bei Dornier abgebaut werden sollen, sind erst der Anfang.

Denn nachdem die niederländische Regionalflugzeugfirma Fokker aufgekauft wurde, wird die Flugzeugentwicklungsabteilung bei Dornier wahrscheinlich den Synergieeffekten im Daimler- Benz-Konzern zum Opfer fallen. „Zwei Entwicklungsteams für Regionalfluzeuge in der Dasa [Deutsche Aerospace, d. Red.] wird man nicht brauchen“, befürchtet Oskar Pauli, Betriebsratsvorsitzender bei Dornier. Die 500 Menschen, die dann auf der Straße stehen, sind hochqualifiziert und spezialisiert – und damit kaum noch zu vermitteln. Der Edelschmiede machen noch vorrangig die Kürzungen im Verteidigungs- und Raumfahrtetat zu schaffen. „Niemand weiß, welche Rolle die Bundeswehr in Zukunft spielen wird und welches Gerät sie braucht“, sagt Dornier-Sprecher Mathias Pikeli.

„Die deutsche Industrie ist um 20 bis 30 Prozent zu teuer im Vergleich mit amerikanischen und japanischen Anbietern“, begründet Dietmar Pfister, bei der ZF zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing, die rigiden Maßnahmen. Lean production und lean management sind die Zauberworte, mit denen man die Kosten reduzieren will. Auch bei den Sozialleistungen wird gespart, Weihnachtsgeld und Gratifikationen wurden angepaßt. „Unser bestes soziales Werk ist es, die Arbeitsplätze dadurch zu garantieren, daß wir die Kosten reduzieren und unsere Marktanteile halten.“ Wenn es allerdings nicht gelinge, in Friedrichshafen die Kosten ausreichend herunterzufahren, gebe es auch billigere Standorte, gibt Pfister zu.

Die Politik der ZF, auch bei den eigenen Zulieferern zu sparen, kostet das Schwesterunternehmen jetzt schon einen ganzen Bereich. Die Zeppelin-Metall-Werke sind ein Stiftungsunternehmen wie die ZF und vor allem mit der Fertigung von Silos, Containern und Radaranlagen befaßt. Die Flanschenstraße, wo 50 Mitarbeiter Rohrverbindungsstücke hauptsächlich für die ZF herstellten, muß Ende des Jahres dichtmachen. Nahe der tschechischen Grenze fand sich ein billigerer Lieferant. „Das kostet hier Leute den Job, die schon seit 25 Jahren dabei sind, 50jährige Familienväter“, sagt Betriebsratsvorsitzender Herbert Hierholzer bitter. Die Belegschaft wurde in den letzten beiden Jahren um 200 reduziert. Auch in diesem Jahr müssen weitere 60 in den Vorruhestand, 30 gehen mit Aufhebungsverträgen, und 37 werden gekündigt. Die Chemieindustrie kauft keine Silos mehr. Und die Bundeswehr, die bei den ZMW 4.000 Kabinen mit der Option auf weitere 4.000 bestellt hatte, vergab die zweiten 4.000 in Kleinserien in den Osten.

Bei all dem stehen die Betriebsräte erstaunlich geschlossen hinter ihren Firmenleitungen. „Zeppelin- Geist“ nennt man im „Hafen“ diese Mentalität. Helmut Hunger von der mtu beklagt die nach dem Golfkrieg verschärften Exportbedingungen. „Ich will bestimmt keinen Krieg, ich habe als Kind die fast völlige Zerstörung Friedrichshafens mit ansehen müssen“, sagt Hunger. „Aber der Frieden ist doch nun einmal nicht ausgebrochen. Und wenn jemand schon Panzermotoren kaufen will, soll er das bei uns tun.“ Heribert Hierholzer ärgert vor allem, daß die Betriebe im Osten so viele Subventionen bekommen. „Das sind klare Wettbewerbsvorteile, die uns das Wasser abgraben. Über kurz oder lang wird es im Westen niemanden mehr geben, der diese Subventionen erwirtschaftet.“

Die Stimmung in den Betrieben ist derweil „hundsmiserabel“, wie sich der Dornier-Betriebsratsvorsitzende Pauli ausdrückt. „Wie soll man die Leute, die jetzt an dem Regionalflugzeug Do 328 arbeiten, noch motivieren? Sie wissen genau, wenn das Ding fertig ist, haben sie nur noch den blauen Brief zu erwarten.“ Vor allem die Unsicherheit macht den Beschäftigten zu schaffen. „Wir tappen doch im dunkeln, was die Aktionen von denen da oben angeht“, sagt ein Mechaniker bei den ZMW. Er selbst müsse sich nicht mehr sorgen, er sei schon über 50 und lange genug dabei. Seinem Sohn geht es da schon anders. Der junge Monteur war zwar schon mehrmals für die ZMW auf Montage, ist auch schon fünf Jahre dabei. „Aber man weiß ja nicht. Ich hab mir jetzt erst mal kein Auto gekauft“, sagt er. Seine Frau habe auch schon beim Bäcker vorgefühlt, ob sie vielleicht in Zukunft öfters aushelfen könne.

„Am schlimmsten ist das Mißtrauen der Leute untereinander“, findet ein Mitarbeiter der ZF. Jeder belauert jeden, die Belegschaften sind gespalten in solche, die ihren Arbeitsplatz sicher wähnen, und solche, die wissen, sie fliegen raus. Die es treffen könnte, hoffen oft immer noch, daß der Kelch an ihnen vorübergeht.

Oberbürgermeister Bernd Wiedmann (CDU), seit Jahren unangefochten im Amt und Aufsichtsratsvorsitzender der ZF in Personalunion, gibt sich optimistisch. „Wir haben in guten Zeiten vorgesorgt und etwas angespart. So werden wir auch über die schlechten hinwegkommen.“ Schon in den letzten beiden Jahren halbierte sich die Gewerbesteuer, auch die Dividende fiel spärlicher aus. Die Stadt richtete eine Sparkommission ein, die alle Bereiche durchforstet. Der Leichenschein etwa kostet jetzt bis zu 50 Mark, die Parkgebühren wurden von 0,30 auf 1,50 Mark pro Stunde erhöht, die städtische Musikschule hat die Preise nahezu verdreifacht. Gedacht ist auch an Existenzgründungshilfen für hochqualifizierte Ex-Beschäftigte, die etwa Abfallprodukte aus Rüstungs- und Raumfahrtforschung für die zivile Anwendung nutzbar machen könnten.

Der IG-Metall-Bevollmächtigte Hans Schmidt bleibt dennoch skeptisch. Die Konzepte der IG Metall, Rüstungskonversion zu forcieren, Handwerk und Handel zu stützen und andere Wirtschaftsbereiche sowie Dienstleistungen anzusiedeln, seien jahrelang nicht beachtet worden. Auch hier sei man gar nicht so unglücklich über die neuen Arbeitslosenzahlen. Die Angst der Leute werde vielmehr ausgenutzt, um ungestraft übertarifliche Löhne und Sozialleistungen abzubauen und Rationalisierungen durchzusetzen. „Vollbeschäftigung zu schaffen war noch nie das Ziel des Kapitals“, stellt er trocken fest.

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