: Wahlkongreß der Einheit in El Salvador
Die ehemalige Guerillafront FMLN präsentiert sich als eine legale Alternative zur Macht ■ Aus San Salvador Ralf Leonhard
Die fünf Parteien, die in der ehemaligen Guerillafront FMLN zusammengeschlossen sind, gaben ein geeintes Bild ab, als sie am Sonntag in San Salvador ihren Wahlkampf eröffneten. Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Organisationen und ein weitverbreiteter Mißmut an der Basis hatten die Stimmung getrübt, bevor am Wochenende in einem außerordentlichen Parteitag die Wahlplattform beschlossen und die Kandidaten für die im März 1994 bevorstehenden Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen vorgestellt wurden.
Wer die Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) noch mit Tarnuniformen, revolutionärer Austerität und radikalen Sprüchen verbindet, der wurde spätestens jetzt belehrt, daß die Metamorphose in eine politische Partei – zumindest der Form nach – vollzogen ist. Seit dem Beginn des Waffenstillstandes sind anderthalb Jahre vergangen. Die Bescheinigung des UNO-Generalsekretärs, daß die FMLN alle Waffen abgegeben habe, wurde aber nach dem Auffliegen mehrerer geheimer Arsenale erst vor einer Woche ausgestellt. Der bewaffnete Kampf, so sah sich Parteichef Shafik Handal genötigt zu versichern, sei keine ernsthafte Option mehr für die ehemalige Guerilla.
So ließ der Parteitag jedwede martialischen Anklänge missen. Im mit rund 10.000 Anhängern gut gefüllten Basketballstadion war Sonntag vormittag für Stimmung gesorgt: im Stil der cheerleaders, die bei US-amerikanischen Footballspielen hopsend und kreischend ihre Mannschaft anfeuern, warfen Mädchen im kurzen Faltenrock die Beine hoch und wirbelten mit bunten Kreppapierquasten, als die Kandidaten einmarschierten. Als Beethovens Ode an die Freude angestimmt wurde, ergriffen alle die Hände ihrer Nachbarn und schunkelten wie beim Mainzer Karneval.
Im Wahlkampf unterstützt die FMLN den von der Linkskoalition „Convergencia Democratica“ aufgestellten Präsidentschaftskandidat Ruben Zamora und wählte den bekannten Anwalt Franciso Lima zu seinem Stellvertreter. Der 50jährige Zamora ist ein alter Verbündeter der FMLN. Nachdem Militärs seinen Bruder, den Generalstaatsanwalt Mario Zamora, ermordet hatten, war er 1980 aus der mit der Armee paktierenden Christdemokratischen Partei ausgetreten und hatte mit anderen Politikern die Demokratisch-Revolutionäre Front (FDR) gegründet, die jahrelang als eine Art politischer Arm der FMLN fungierte. 1987 aus dem Exil zurückgekehrt, schloß er sich mit der sozialdemokratischen MNR Guillermo Ungos zur „Convergencia Democratica“ zusammen. Seit 1991 ist er Abgeordneter und erster Vizepräsident der Nationalversammlung.
Obwohl Zamora nach dem Tod Ungos vor zweieinhalb Jahren der naheliegende Kandidat der „Convergencia“ war, brauchte die FMLN mehrere Monate, um ihn zu akzeptieren. Erst im Vormonat wurde er mit Mehrheit (3:2) gewählt. Zwei der Parteien hielten eine linke Kandidatur für falsch und hätten ein Bündnis mit den Christdemokraten vorgezogen. Auch persönliche Antipathien waren im Spiel.
Die Wahl des Juristen Francisco Lima hingegen ging vor knapp zwei Wochen einstimmig über die Bühne. Der 76jährige ehemalige Professor für Arbeitsrecht hat sich durch seinen Kampf gegen die Korruption einen Namen gemacht und war von den FMLN-Comandantes schon während des Krieges mehrfach vor wichtigen politischen Entscheidungen zu Rate gezogen worden.
Die flagrante Korruption der rechten ARENA-Regierung wird, neben der Forderung nach der Erfüllung der Friedensabkommen, eines der zentralen Wahlkampfthemen werden. Das versprach Lima in seiner Ansprache. Er verbürgte sich dafür, daß in seiner Regierung strengste moralische Masstäbe gelten werden: „Ein öffentliches Amt zu bekleiden, heißt, dem Volk zu dienen und nicht, sich als dessen Dienstherr aufzuspielen.“
Ruben Zamora feierte den Parteitag als „außerordentliches historisches Ereignis, denn er bringt den Wahlpakt und die programmatische Einheit der fortschrittlichen Kräfte El Salvadors. Die antidemokratischen Kräfte beginnen heute zu zittern, da wir Tag für Tag zu einer seriöseren Option für die Macht werden“.
Sechs Monate vor den „Wahlen des Jahrhunderts“, die die ersten wirklich freien und pluralistischen Wahlen des Landes werden sollen, ist deren Ausgang noch weitgehend offen. Die FMLN-Führung hatte sich am Samstag von der Parteiversammlung die Vollmacht geben lassen, Allianzen zu schließen und Absprachen für die Stichwahl zu treffen, wenn kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit erringen sollte. Mit den Christdemokraten gibt es Vorgespräche nicht nur über die Unterstützung in der Stichwahl, sondern auch über eine eventuelle Regierungsbeteiligung.
Von den beiden Strömungen der FMLN merkte man an diesem Wochende wenig. Während die von den „Volksbefreiungskräften“ (FPL) und der KP angeführte Tendenz das Fernziel Sozialismus nicht aufgegeben hat und eine alternative Wirtschaftsordnung anstrebt, haben die Partei des Joaquin Villalobos und die „Resistencia Nacional“ das herrschende System akzeptiert und liebäugeln mit einer Koalition mit den Sozialdemokraten. Doch diese Diskussionen sind während des Wahlkampfes hintangestellt. In der Plattform wurden die strittigen Punkte denn auch ausgespart oder allgemein formuliert. Parteichef Shafik Handal gab sich sogar überzeugt, daß sich die FMLN auch nach den Wahlen nicht spalten werde.
Deutlicher Mißmut herrscht aber an der Basis, die nur marginal in die Diskussion einbezogen wurde. Die ehemaligen Kämpfer nehmen auch mit Besorgnis zur Kenntnis, daß der Wahlkampf für die FMLN derzeit vorrangig ist – und nicht etwa die Erfüllung der Forderung nach einer vollständigen Umsetzung der Friedensverträge.
Die Landverteilung geht nur sehr schleppend vor sich, die Arbeitslosigkeit schnellt hoch und rechte Todesschwadrone haben in den letzten Wochen mehrere FMLN-Aktivisten ermordet. Während sich viele altgediente Kämpfer und Parteimitglieder enttäuscht abwenden, sehen aber immer mehr ehemalige Sympathisanten der ARENA oder der Christdemokratie im Linksbündnis eine echte Alternative.
Damit es überhaupt zu einem fairen Kräftemessen kommen kann, muß erst das Wahlregister bereinigt werden. Bei den vergangenen Wahlen durften nach Aussagen von Angestellten des Zentralen Wahlrats noch die Toten mitstimmen. Und jetzt läßt die Regierungspartei nichts unversucht, um die Einschreibung der bisher nicht registrierten Wähler zu verhindern. 75 Tage vor Ende der Frist sind noch 680.000 Staatsbürger ohne Wahlausweis. Das ist fast ein Drittel der Wahlberechtigten.
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